Das Geheimnis der sauberen Schuhe

Am Anfang habe ich mich immer gewundert, wieso amerikanische Kinder so saubere Schuhe an den Füßen haben – kaum Gebrauchsspuren und schon gar kein Dreck oder Matsch. Das ist umso verwunderlicher, da sie noch nicht einmal Buddel- oder Matschklamotten in der preschool haben. Die Antwort? Ganz einfach, sie gehen nur sehr selten raus und wenn, dann nur bei perfektem Wetter – Fall gelöst.

Generell ist das Erziehungssystem hier viel weniger auf die Bewegungsfreude und den Bewegungsbedarf der Kids ausgerichtet als in Deutschland. So wie ich das bisher erkenne, liegt der Schwerpunkt ganz klar woanders: Mit fünf Jahren muss man lesen können und bitte auch schon anfangen zu schreiben! Diskutieren kann man sich sparen – die Leute hier sind bei dem Thema „Lesen und Schreiben lernen“ (Literacy) komplett anders sozialisiert und kollektiv programmiert.

 

Unsere Montessori-preschool vernachlässigt fast komplett das Bedürfnis der Kids, sich zu bewegen und die Welt mit allen Sinnen (und eben nicht nur den Montessori-Klassenraum) zu erfahren. Zwischen „work“, „my ABCs“, „lining up“, „Spanish“ und „music“ gibt es nur eine Bewegungspause von 20 Minuten. Über dreieinhalb Stunden (!) sitzen die Kids in dem einen Klassenraum oder sie gehen vorsichtig zwischen den auf dem Teppich liegenden Kindern hindurch. Jeder „Bewegungsausbruch“ wird direkt mit freundlicher, mahnender Stimme gezügelt „walking feet, please!“

Die Pause wird in über 50 Prozent der Fälle nur drinnen in einem urhäßlichen „playroom“ „abgehalten“, weil das Wetter mal wieder nicht perfekt ist – es geht nur raus, wenn die Sonne scheint, es aber dabei nicht zu heiß ist, kein Wind weht und keine Wolke am Himmel ist!
Der Raum ist unterteilt: Die Kids, die sich endlich mal bewegen müssen, laufen dann sieben Meter hin und sieben Meter her, von der Wand bis zur Abtrennlinie – immer, immer wieder. Das erinnert mich schon fast an die Eisbären bei uns im Zoo, aber die Kids lachen dabei wenigstens und nach 20 Minuten sind einige sogar nassgeschwitzt.

 

Wenn die Kids Glück haben, geht es in den „Zwinger“ – wie Marc und ich den sterilen, wenig einladenden, hochumzäunten Minispielplatz nennen. Der hat keinen Sandkasten, keine Schaukel, keinen Baum und nur einen minikleinen Schattenplatz. Im Sommer in der prallen Sonne ist dieser „Spielplatz“ daher eigentlich aus unserer deutschen Elternsicht einfach nicht akzeptabel.

Wenn Ole (5) diesen September in die „Kindergarten Class“ kommt, dann wird er dort die Zeit von 8.30 bis 15 Uhr verbringen – puh, mal sehen, wie er das so packt. Ich bin jedenfalls heilfroh, dass Paul nach unserer Rückkehr nach Deutschland noch ein Jahr in einen richtig deutschen Kindergarten geht – Matschen im Sandkasten, Toben durchs Freigelände und freies Bewegen in der gesamten Kita inklusive.