Jeden Tag, der uns näher an den Abflug rückt, stehen mehr Kisten herum, verschwinden persönliche Sachen (wie z. B. gemalte Bilder von den Kids) und das Haus wird ein bisschen weniger unseres. Die Kinder bekommen das natürlich auch mit – und drehen mehr auf bzw. werden anhänglicher (finde ich). Schon vor Wochen hatten wir die ersten nassen Betten.
Theo ist vor einigen Tagen 10 Jahre alt geworden. Er ist damit offiziell ein „tween“ – also ein „between“ Kind und Teenager – und man merkt es ihm an! Er hatte am Freitag direkt seine ganze Klasse zur Party eingeladen. Hinterher war er traurig und sagte, dass es ihm das Herz schwer gemacht habe.
Ebenso trauert er jetzt schon seit längerem seiner „science class“ hinterher, die er so geliebt hat.
Er pfeift und singt im Moment fleißig die amerikanische Nationalhymne (keine Ahnung, woher er die jetzt hat …) und reagiert super defensiv („Hast du etwa was gegen die USA?“), wenn ich ihn – ein wenig genervt – darum bitte, doch damit mal aufzuhören. Auf der anderen Seite möchte er weiterhin mittwochs früher aus der Schule abgeholt werden, damit wir die Deutsch-Nachhilfe machen (damit hatten wir im Mai aufgehört, weil die anderen Dinge so drängten).
Tim (8) wirkt noch recht entspannt, aber ab und zu merkt man es doch. Er hatte schon vor über einem Monat einen Brief von einem Klassenkameraden über die „Schulpost“ (Wee Deliver Postal Service) bekommen: „You are leaving in 33 days. I´m so sad that you are going. I want to have more playdates with you before you go.“
Wir tun, was wir können. Im Auto höre ich dann zufällig eine Unterhaltung mit eben jenem Freund mit an und bin platt: „Do you think it would have been better if we had not met? Then we would not be sad now.“ Ist doch ein tiefsinniger Gedanke für 8-jährige, oder?
Tim wird auch unruhig, wenn er an die deutsche Schule denkt. Er hatte ja hier einen ziemlich harten Einstieg. Im Moment fragte er mich öfter, wie diverse deutsche Wörter buchstabiert werden und erzählt Freunden von seiner ersten Zeit hier in Amerika, als er noch kein Wort verstand. „Wenigstens verstehe ich Deutsch“, tröstet er sich (lesen und schreiben kann er es ja nicht), und damit hat er Recht. Dann hoffen wir doch, dass die erste Zeit diesmal einfacher für ihn wird.
Ole (6) reagiert am offensichtlichsten auf den Übergang. Ist schon verrückt, weil er ja eigentlich die ganze Zeit nur zurück nach Deutschland wollte („Wie lange bleiben wir noch hier?“, hat er mich sooooo oft gefragt). Bis vor wenigen Wochen erzählte er noch jedem freudestrahlend, dass wir bald wieder zurückgehen. Aber jetzt weint er oft und meint, dass er seine Freunde vermissen wird und malt Bilder für sie (Weltkarten mit der Flugzeugroute von Deutschland nach Amerika und dem Weg der Titanic). Er fragt sich, ob die Kinder ihn in Deutschland wohl mögen werden. Abends ist er auch kaum noch ins Bett zu bekommen, wacht oft mit Alpträumen auf, und seine Emotionen kochen bei Konflikten schnell hoch. Er ist dauernd auf der Suche nach sensorischem Input und meine Oberarme sehen entsprechend aus – anstrengend.
Paul (5) interessiert sich momentan eigentlich nur für seine Wackelzähne (die nach wie vor zu seinem Leidwesen fest im Kiefer sitzen). Aber Ole hat ihn dann wohl doch mit seinen Abschiedsgedanken angesteckt, und inzwischen fragt auch er jeden Morgen als erstes, in wie vielen Tagen wir in den Flieger steigen. Und weil er ja mittlerweile zweieinhalb Jahre amerikanisch-akademischen preschool-„Drill“ hinter sich hat, rechnet er es halt direkt selbst aus – das aktuelle Datum weiß er oft besser als ich und unser Abflugdatum kennt er im Schlaf: „Wir fliegen am 21. Juni zurück und heute ist der 6. Juni. Dann sind das noch 15 Tage!“ Es ist schon verrückt, was die hier mit 5-Jährigen machen.
Gestern Abend hat er dann übrigens doch noch eins seiner Ziele erreicht: Im Gesicht und am Mund blutend kam er mir entgegengelaufen und erzählte begeistert, dass er jetzt endlich Wackelzähne habe! Der Grund: Er hatte bei Freunden eine Baumschaukel mit vollem Schwung mitten ins Gesicht bekommen – Hilfe!
Ansonsten gibt es zurzeit viele Diskussionen, wer in unserem deutschen Haus in welches Zimmer zieht – wir haben drei Zimmer für vier Kinder. Aber auch dafür werden wir noch eine Lösung finden …