Gruseltermin beim Zahnarzt

Unsere Kids beim Zahnarzt

Was Sonnenbrillen und cookie dough-Geschmack mit dem Zahnarzt zu tun haben und warum ich als Rabenmutter abgestempelt werde. Und warum uns nach diesem Horrortrip nur noch ein apple cider mit Sahne und die goodie bags besänftigen können.

 
Unser erster Besuch einer zahnärztlichen Praxis für Kinder war eine Steigerung zu meiner Zahnarzt-Erfahrung. Eigentlich sogar grauenvoll, jedenfalls für mich. Es ist lange her (wir leben ja jetzt schon seit zwei Jahren hier), dass mich etwas hier so auf dem linken Fuß erwischt hat. Dafür kam es jetzt umso so heftiger. Und so war‘s: Die halbjährliche Zahn-Routine-Untersuchung stand an. In Deutschland haben wir die immer in den Ferien hinter uns gebracht.

Was ich wusste:
Ein strahlend weißes (=gesundes) Gebiss ist in den USA viel wichtiger als in Deutschland. Hier einige Werbesprüche von diversen Praxen:

„Your smile is your gateway to your personality.“
„Zoom! One Hour Whitening.“
„Smile Makeovers – now a movie star smile is as close as your mirror.“
„Dr. X has been handcrafting smiles for over 25 years.“
„Call us today for a beautiful new smile.“
„A healthy smile for a lifetime.“

Zunächst hörte sich bei meiner Recherche im Internet alles sehr verlockend an: Eine zahnärztliche Praxis für Kinder warb damit, dass sie besonders geschult sei im Umgang mit Kindern und „that it is so important for children to learn that going to the dentist can be fun“. Hört, hört! Wir haben uns dann für eine Praxis für Kinder hier in der Nähe entschieden, die sich auf ihrer Webseite kunterbunt, mit lachenden Kindern und Luftballons präsentierte – aber von wegen …

Was ich nicht wusste:
Zu einem Routinetermin für Kinder ab zwei bis drei Jahren gehören immer eine Untersuchung, eine professionelle Reinigung und eine Fluorbehandlung.

So ging es los:

  • Wartezimmer: Teppich, alte „Sperrmüllmöbel“ und lautes TV (nervig).
  • Behandlungszimmer: ein fensterloses „Großraumbehandlungszimmer“ mit (Stell)wänden zwischen den Kindern. Es gibt wenige Türen, aber die, die da sind, stehen offen, auch wenn ein Kind gerade behandelt wird. Paul und Ole liegen „im Flur“, alle latschen hin und her, auch ein kleiner Junge mit Gipsbein samt Eltern humpelt vorbei (er kommt in ein separates Zimmer – die Tür bleibt offen).
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  • Es geht los: Zuerst sieht alles fast nach „fun“ aus. Der Fernseher wird angestellt – es gibt Mickey Mouse.
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  • Paul und Ole bekommen jeder eine Sonnenbrille (damit das Licht nicht blendet und man ganz in Ruhe Fernsehen gucken kann).
  • „What flavor would you like?“ – sowohl für die Zahnpasta als auch für das Fluorid dürfen die Kinder wählen zwischen diversen Geschmacksrichtungen: cookie dough, strawberry, cherry, bubble gum, mint, orange, cinnamon, grape …

 

Dann wird es ernster:

  • Nach der Untersuchung ist die Rede von X-rays (Röntgen) – Was? Warum? – Kommt nicht in Frage! Unverständnis im Blick, dann „You have to sign here“.
  • Gleiches Spiel für die Fluorbehandlung: Wir verzichten. Die Blicke der Zahnhygienikerin werden missbilligend: „You have to sign here, please.“
  • Dann die Frage: „How often do they floss?“ Als einzige Strategie in solchen Situationen hat sich die offensive Gegenfrage bewährt: „How often are they supposed to floss? Every day?“ Und jetzt erzählt mir bitte nicht, dass ihr euren 4-jährigen Kindern regelmäßig die Zähnchen mit Zahnseide reinigt … Klare Antwort: „Oh yes – absolutely.“ Mehr als „Right“ fällt mir dann auch nicht ein – ich Rabenmutter …
  • Ole will seinen Mund gar nicht mehr aufmachen – die Paste zum Zähneputzen schmeckt ihm nicht – es gibt Theater – mehrere Versuche – noch mehr Theater …
  • Aus dem Nebenraum (der Junge mit dem Gipsbein) kommt ein leises Wimmern, ansonsten Gesumme und Geschlürfe von diversen anderen Kindern.
  • Paul, mittlerweile zwei gurgelnde Schläuche im Mund, liegt regungslos da, lässt die Reinigung stoisch über sich ergehen und guckt gebannt auf den Fernseher.

Es eskaliert:

  • Ole wehrt sich mit Händen und Füßen – der Geschmack, das Wasser, das Absaugen – ich breche ab. Die Dame ist froh, wir sind eh ein hoffnungsloser Fall!
  • Ich fühle mich überflutet von den piepsigen Mickey Mouse-Stimmen und ihren Freunden, die asynchron, dafür aber im Surround-Sound aus verschiedenen Quellen kommen. Dazu das Gesumme und Gezische von den anderen Stühlen, Oles Gejammer und die Sprechstundenhilfen, die sich beim Hin- und Herlaufen lautstark unterhalten („Did you try my coffee cake?“) und kichern. Eine macht im Vorbeigehen ein Foto von Paul („Oh, he looks so cute“- klick).
  • Paul wird immer noch geschrubbt und poliert – Mickey Mouse hält ihn in ihrem Bann.
  • Aus dem Nebenzimmer tönt inzwischen lautes Weinen, dazwischen die beschwichtigenden Stimmen von Vater und Mutter, die Tür wird geschlossen (aha, dafür gibt es also „Einzelzellen“!).
  • Wie lange dauert das noch? Dann ist Paul endlich fertig.

Die Rechnung:

  • Die schockt uns nicht, denn wir waren vorgewarnt: „That’ll be 300 dollars.“ 190 für Paul und 110 für Ole (er hat ja nicht das ganze Paket bekommen, aber 110 Dollar für die Untersuchung ist ganz schön happig). Egal, ich zahle und will nur weg.

Mir kommen die Tränen, der Junge im Nebenzimmer schreit sich mittlerweile die Seele aus dem Leib. Was machen die mit dem armen Kerl? Die Helferinnen sind komplett unbeeindruckt, quatschen, lachen. Ist das hier an der Tagesordnung? Himmel!

Super stolz verlassen Ole und Paul die Praxis mit ihren „Super patient – goodie bags“ in der Hand. Ich bin sicher, dass mir die „goodies“, wie z. B. der „lip balm strawberry“ oder die „fun flosses“ mit Emblem der Horrorpraxis in den nächsten Wochen immer wieder in ihren Schatzkisten begegnen werden. Bei mir hingegen hilft nur eins gegen die weichen Knie: apple cider mit Sahne und extra viel Karamell.

 

Einen Rekord in unserer Familie wird Paul nun für immer halten: Sein reines Milchzahngebiss ist als erstes und einziges in der Familie professionell gesandstrahlt worden – fast schade, dass er vor lauter „Mickey Mouse gucken“ gar nichts davon mitbekommen hat …

Hier gehts zum Halbjahrescheck von Theo und Tim