Warum man Schokoküsse in New Jersey nur bei der deutschen Metzgerei kaufen kann, was neunmal in die Hände klatschen bedeutet und wieso Marc zum 40. Geburtstag eine zweite Frau geschenkt bekam. Und schließlich: Was die Zahlen 2, 15, 6 und 24 bedeuten und wie wir uns langsam auf Deutschland vorbereiten.
Das Jahr hat gut angefangen, der erste Monat war vollgepackt und eine völlig verrückte Mischung aus Routine, zwei Geburtstagen, einem schockierenden Besuch beim Kinderzahnarzt und den ersten Vorbereitungen für unsere Heimkehr nach Deutschland im Sommer. Das Thema „Abschied“ platzt direkt mehrfach in unser Leben und es gibt auch schon die ersten Tränen.
Neue Perspektiven
Ja, bisher habe ich es erfolgreich verdrängt, aber jetzt ist es nicht mehr zu leugnen: Unser letztes halbes Jahr ist angebrochen! Es ist also Zeit, einen Plan zu machen, sich um einige Dinge zu kümmern und trotzdem irgendwie die verbleibende Zeit zu genießen. Ich komme mir vor, als würden wir unsere Freunde hier betrügen – die “gemeinsame Zukunft” verschwindet langsam bzw. wir lösen unsere Bindungen wieder. Das klingt vielleicht hochtrabend, aber es fühlt sich wirklich ungut an.
Gleichzeitig poppt bei mir im Kopf häufig die Frage auf:
„Wie amerikanisch sind wir jetzt?“. Es hat sich viel getan in den letzten Monaten (viele, viele Stunden Schule und Preschool, mein Fundraising, gemeinsam erlebte „Naturgewalten“ und, und, und…Da ist so ein Innehalten nach zwei Jahren USA doch mal ganz spannend.
Unsere Kids beim Zahnarzt
Was Sonnenbrillen und cookie dough-Geschmack mit dem Zahnarzt zu tun haben und warum ich als Rabenmutter abgestempelt werde. Und warum uns nach diesem Horrortrip nur noch ein apple cider mit Sahne und die goodie bags besänftigen können.
Unser erster Besuch einer zahnärztlichen Praxis für Kinder war eine Steigerung zu meiner Zahnarzt-Erfahrung. Eigentlich sogar grauenvoll, jedenfalls für mich. Es ist lange her (wir leben ja jetzt schon seit zwei Jahren hier), dass mich etwas hier so auf dem linken Fuß erwischt hat. Dafür kam es jetzt umso so heftiger. Und so war‘s: Die halbjährliche Zahn-Routine-Untersuchung stand an. In Deutschland haben wir die immer in den Ferien hinter uns gebracht.
Was ich wusste:
Ein strahlend weißes (=gesundes) Gebiss ist in den USA viel wichtiger als in Deutschland. Hier einige Werbesprüche von diversen Praxen:
„Your smile is your gateway to your personality.“
„Zoom! One Hour Whitening.“
„Smile Makeovers – now a movie star smile is as close as your mirror.“
„Dr. X has been handcrafting smiles for over 25 years.“
„Call us today for a beautiful new smile.“
„A healthy smile for a lifetime.“
Zunächst hörte sich bei meiner Recherche im Internet alles sehr verlockend an: Eine zahnärztliche Praxis für Kinder warb damit, dass sie besonders geschult sei im Umgang mit Kindern und „that it is so important for children to learn that going to the dentist can be fun“. Hört, hört! Wir haben uns dann für eine Praxis für Kinder hier in der Nähe entschieden, die sich auf ihrer Webseite kunterbunt, mit lachenden Kindern und Luftballons präsentierte – aber von wegen …
Was ich nicht wusste:
Zu einem Routinetermin für Kinder ab zwei bis drei Jahren gehören immer eine Untersuchung, eine professionelle Reinigung und eine Fluorbehandlung.
So ging es los:
- Wartezimmer: Teppich, alte „Sperrmüllmöbel“ und lautes TV (nervig).
- Behandlungszimmer: ein fensterloses „Großraumbehandlungszimmer“ mit (Stell)wänden zwischen den Kindern. Es gibt wenige Türen, aber die, die da sind, stehen offen, auch wenn ein Kind gerade behandelt wird. Paul und Ole liegen „im Flur“, alle latschen hin und her, auch ein kleiner Junge mit Gipsbein samt Eltern humpelt vorbei (er kommt in ein separates Zimmer – die Tür bleibt offen).
- Es geht los: Zuerst sieht alles fast nach „fun“ aus. Der Fernseher wird angestellt – es gibt Mickey Mouse.
- Paul und Ole bekommen jeder eine Sonnenbrille (damit das Licht nicht blendet und man ganz in Ruhe Fernsehen gucken kann).
- „What flavor would you like?“ – sowohl für die Zahnpasta als auch für das Fluorid dürfen die Kinder wählen zwischen diversen Geschmacksrichtungen: cookie dough, strawberry, cherry, bubble gum, mint, orange, cinnamon, grape …
Dann wird es ernster:
- Nach der Untersuchung ist die Rede von X-rays (Röntgen) – Was? Warum? – Kommt nicht in Frage! Unverständnis im Blick, dann „You have to sign here“.
- Gleiches Spiel für die Fluorbehandlung: Wir verzichten. Die Blicke der Zahnhygienikerin werden missbilligend: „You have to sign here, please.“
- Dann die Frage: „How often do they floss?“ Als einzige Strategie in solchen Situationen hat sich die offensive Gegenfrage bewährt: „How often are they supposed to floss? Every day?“ Und jetzt erzählt mir bitte nicht, dass ihr euren 4-jährigen Kindern regelmäßig die Zähnchen mit Zahnseide reinigt … Klare Antwort: „Oh yes – absolutely.“ Mehr als „Right“ fällt mir dann auch nicht ein – ich Rabenmutter …
- Ole will seinen Mund gar nicht mehr aufmachen – die Paste zum Zähneputzen schmeckt ihm nicht – es gibt Theater – mehrere Versuche – noch mehr Theater …
- Aus dem Nebenraum (der Junge mit dem Gipsbein) kommt ein leises Wimmern, ansonsten Gesumme und Geschlürfe von diversen anderen Kindern.
- Paul, mittlerweile zwei gurgelnde Schläuche im Mund, liegt regungslos da, lässt die Reinigung stoisch über sich ergehen und guckt gebannt auf den Fernseher.
Es eskaliert:
- Ole wehrt sich mit Händen und Füßen – der Geschmack, das Wasser, das Absaugen – ich breche ab. Die Dame ist froh, wir sind eh ein hoffnungsloser Fall!
- Ich fühle mich überflutet von den piepsigen Mickey Mouse-Stimmen und ihren Freunden, die asynchron, dafür aber im Surround-Sound aus verschiedenen Quellen kommen. Dazu das Gesumme und Gezische von den anderen Stühlen, Oles Gejammer und die Sprechstundenhilfen, die sich beim Hin- und Herlaufen lautstark unterhalten („Did you try my coffee cake?“) und kichern. Eine macht im Vorbeigehen ein Foto von Paul („Oh, he looks so cute“- klick).
- Paul wird immer noch geschrubbt und poliert – Mickey Mouse hält ihn in ihrem Bann.
- Aus dem Nebenzimmer tönt inzwischen lautes Weinen, dazwischen die beschwichtigenden Stimmen von Vater und Mutter, die Tür wird geschlossen (aha, dafür gibt es also „Einzelzellen“!).
- Wie lange dauert das noch? Dann ist Paul endlich fertig.
Die Rechnung:
- Die schockt uns nicht, denn wir waren vorgewarnt: „That’ll be 300 dollars.“ 190 für Paul und 110 für Ole (er hat ja nicht das ganze Paket bekommen, aber 110 Dollar für die Untersuchung ist ganz schön happig). Egal, ich zahle und will nur weg.
Mir kommen die Tränen, der Junge im Nebenzimmer schreit sich mittlerweile die Seele aus dem Leib. Was machen die mit dem armen Kerl? Die Helferinnen sind komplett unbeeindruckt, quatschen, lachen. Ist das hier an der Tagesordnung? Himmel!
Super stolz verlassen Ole und Paul die Praxis mit ihren „Super patient – goodie bags“ in der Hand. Ich bin sicher, dass mir die „goodies“, wie z. B. der „lip balm strawberry“ oder die „fun flosses“ mit Emblem der Horrorpraxis in den nächsten Wochen immer wieder in ihren Schatzkisten begegnen werden. Bei mir hingegen hilft nur eins gegen die weichen Knie: apple cider mit Sahne und extra viel Karamell.
Einen Rekord in unserer Familie wird Paul nun für immer halten: Sein reines Milchzahngebiss ist als erstes und einziges in der Familie professionell gesandstrahlt worden – fast schade, dass er vor lauter „Mickey Mouse gucken“ gar nichts davon mitbekommen hat …
Hier gehts zum Halbjahrescheck von Theo und Tim |
Rote Herzen
Der Januar begann mit einem kick-start – seit dem 2. ist hier wieder „business as usual“, das heißt Schule und Arbeit. Und wir merken schon, dass uns die Extraferienwoche, wie wir sie aus Deutschland kennen, geklaut wurde.
Das Neue Jahr ist noch nicht mal eine Woche alt, da gesellen sich rote Herzen zu den Weihnachtsdekorationen – ja, ja, der Valentinstag ist nicht mehr weit! Also: besser schon mal die Reservierung für das Abendessen mit der Liebsten machen.
In der ersten Januarwoche flattern hier von allen Seiten „Thank you“-Notes für die Weihnachtsgeschenke (Taschen, Schokolade etc.) von den Lehrerinnen der Kids ins Haus. Alle sind persönlich adressiert, und viele sind mit der Hand geschrieben: „Thank you so much for your generous gift – it was so thoughtful/kind of you.“ Gehören diese Begriffe überhaupt noch zum aktiven Wortschatz von uns Deutschen? Aber das hatten wir ja schon mal, ihr erinnert euch? Dabei hatten wir uns nur an den Gemeinschaftsgeschenken der Klassen beteiligt, also keine Extrawurst gemacht.
Kekse für den guten Zweck
Und da wir gerade von Schokolade sprachen: Die Girl Scouts, die „spring-fundraiser“, schwärmen wieder aus und versuchen, ihre Kekse unters Volk zu bringen. Die Mädchen unserer Straße läuten also an den Haustüren der Nachbarn und wir sind dabei. Klar, wir bestellen auch, für vier Dollar pro Keksbox. Bis Ende Januar habe ich für ca. 50 (!) Dollar Girl Scouts-Kekse bestellt, denn wir haben mehrere Nachbarstöchter bei den Girl Scouts (was mir aber beim ersten Mädchen nicht klar war), und ich wollte keins zurückweisen. Mein Favorit unter den Keksen, die es nur über diese Quelle gibt, sind „Samoa“, mit viel Karamell und Kokosnuss. Aber Geduld ist angesagt – die Lieferung wird erst für März erwartet.
Happy Snow day
Das Wetter ist weiterhin sehr mild und wir können nicht klagen. Es geht zwar mal auf minus zehn Grad runter, aber immer nur kurz. Und was das Beste ist: kein Schneechaos wie letztes Jahr! Alle Pick-ups fahren ohne Räumer vorne dran, Schneeschaufeln sind Ladenhüter, und nur ein einziger Nachbar hat Schneemarkierungen an seinem driveway aufgestellt (ausgerechnet der am bus stop – Spielverderber!). Innerlich frohlocke ich: An jedem Tag, der ohne Schneefall vergeht, mache ich gedanklich einen dicken roten Haken. Eigentlich wäre ja jetzt genau der richtige Zeitpunkt, sich mit Schneeschaufeln, Batterien und wieder verfügbaren Generatoren einzudecken, aber wir bekommen das azyklische Einkaufen einfach nicht hin. Und ich hoffe, dass wir das alles hier nicht mehr brauchen werden 🙂 .
Das Einzige, worauf ich bestehe ist, dass Marc uns hier mit Brennholz eindeckt, bevor er sich nach Europa aufmacht – im Falle eines Stromausfalls kann ich nämlich weder ein Messauto an unsere Heizung anschließen noch habe ich Lust, hier im Haus mit vier Kindern festzufrieren. Und mit unserem Kamin bekommen wir wenigstens einen Raum warm.
Einen einzigen snow day hatten wir im Januar und der fiel auch noch auf einen Samstag – ha! Diesmal hatte ich Glück, denn ich arbeite ja an einer Samstagsschule 🙂 . Und jetzt kann ich auch das freudige Gefühl der Kids letztes Jahr über jeden snow day verstehen.
Alle wollten sofort in den Schnee – und Vitorias Gekreische übertönte das aller anderen, als sie auf dem Hügel vor unserem Haus das erste Mal in ihrem Leben Schlitten fuhr. Beim letzten Schneefall im Oktober fielen ja die Bäume vom Himmel, da gab es für alle Ausgehverbot, auch für Vitoria. Also, das war richtig schön, aber mehr an Schnee brauche ich jetzt auch nicht!
Schokoküsse und Frühlingstemperaturen
Tim wird Anfang Januar acht Jahre alt. Er wünscht sich natürlich wie immer Lego. Aber er hat diesmal auch einen ausgefallenen Wunsch: Er will unbedingt Schokoküsse! Warum ausgefallen? Tja, die gibt es hier in normalen Läden nicht, denn das ist etwas typisch Deutsches! Wusstet ihr, dass insgesamt jährlich eine Milliarde davon in Deutschland verkauft werden (laut Wikipedia)? Das macht durchschnittlich zwölf Schokoküsse pro Person!
Ich telefoniere einige deutsche Metzgereien durch – nicht wundern, die sind immer eine gute Anlaufstelle für „deutsche“ Sonderwünsche wie z. B. Tortenguss, Überraschungseier u. a. Beim dritten Versuch werde ich fündig, und wir kaufen direkt alle Schaumkuss-Packungen auf, die im Laden zu bekommen sind. Das Personal macht dem Klischee, dass die Deutschen muffelig sind, alle Ehre. Aber die Wurst ist wohl so gut, dass die Kundeninnen und Kunden trotzdem wiederkommen. Uns interessieren ja auch momentan nur die Schokoküsse – Tim und die anderen drei sind happy, ich auch.
Klatschen und „one for good luck“
Jedes Land hat seine eigenen Rituale, so auch Amerika. Seitdem wir hier sind, klatschen wir zum Beispiel nach dem Kerzenauspusten in die Hände, bei Tims achtem Geburtstag also neun Mal: „One, two, three, four, five, six, seven, eight – and one for good luck!“ Dieser Brauch ist neu für uns und kommt aus Oles (6) Montessori-preschool – gibt es den in Deutschland eigentlich auch?
Und tatsächlich – es klappt: Das erste Mal in seinem Leben kann Tim seinen Kindergeburtstag bei frühlingshaften 16 Grad draußen feiern – und das am 7. Januar! Es ist die höchste Temperatur, die seit Wetteraufzeichnungen an diesem Tag je in New Jersey gemessen wurde.
Eine „Zweitfrau“ als Geburtstagsgeschenk
Bei unserem zweiten Geburtstagskind Marc müssen wir dann doch noch etwas öfter klatschen – 41 Klatscher inklusive dem für Glück: Happy Birthday! Ich habe mir schon etwas Besonderes für diesen runden Geburtstag überlegt. Mein Geschenk heißt Amanda, sieht gut aus und ist fit wie ein Turnschuh. Sie kommt zweimal die Woche ins Haus, und mit ihr darf sich Marc mal so richtig austoben.
Na, neugierig?
Richtig: eine Personal Trainerin!
Beim ersten Treffen wird alles klar gemacht: Zuerst waiver unterschreiben, die rechtliche Verzichtserklärung. Damit ist Amanda nicht haftbar, egal was auch passieren mag. Dann erklärt sie unbeeindruckt: „I’ll push you to the limits. You do what I tell you. I will make you suffer and you will hate me. Don’t mail in, you have to dial in.“
Hui, alles klar – und los geht’s in den Keller zum Trainieren! Sie ist genauso, wie ich mir eine amerikanische Personal Trainerin vorgestellt habe: immer gut gelaunt, mit wippendem Pferdeschwanz, saufreundlich. Aber sie weiß genau, was sie will, kommt auf die Minute und flitzt nach exakt 60 Minuten wieder aus unserer Haustür raus.
Eine Personal Trainerin oder einen Trainer zu haben, ist hier übrigens lange nicht so exotisch, snobistisch oder abgedreht wie in Deutschland. Viele gehen ins Fitnessstudio und haben dann dort ihre Trainer/innen, die ihnen ein maßgeschneidertes Fitnessprogramm bieten. Und für die hartnäckigen Fälle gibt es eben auch die, die nach Hause kommen, so wie Amanda. Kostenpunkt: 60 Dollar pro Stunde. Klar, super teuer. Aber wenn das die einzige Möglichkeit ist, Marc zum Sport zu bekommen, dann ist das eben so. Bis 40 bekommt man seine Gesundheit „geschenkt“, danach muss man regelmäßig etwas dafür tun, oder?
Amandas Stimme ist so laut, dass man sie aus dem Keller im ganzen Haus hört: Sie gibt an, welche Übungen Marc machen soll, sie zählt mit, hat Hanteln, Bälle etc. dabei, sie feuert ihn an. Und wenn er schlappmacht, tut sie das notfalls auch mit deutschem Akzent, wie sie uns verrät – das hat mit dem Image der Deutschen zu tun, die in amerikanischen Filmen oft die Fieslinge mit starkem deutschen Akzent mimen. Da hört man sie herumkommandieren und auf deutsch „schnell, schnell“ sagen (ein amerikanischer Freund zitiert das immer mit einem breiten Grinsen). Das hört sich dann so an: „Los gäts! Los gäts!“ Armer Marc – ich hoffe, sie übertreibt es nicht. Damit Marc auch ein greifbares Ziel bei der „Schinderei“ hat, schenke ich ihm die Anmeldung zum 4-Meilen-Rennen anlässlich des Super Bowls Anfang Februar in Morristown gleich dazu.
„Ein paar Koffer sind doch schnell gepackt …“
So lauteten jedenfalls die aufmunternden Worte einer E-Mail mit Neujahrsgrüßen aus Deutschland von einer Freundin. Vor zwei Jahren sind wir mit 15 Koffern hierher geflogen, aber dabei ist es leider nicht geblieben. Unsere Möbel, Unmengen Lego und all die Sachen, die sechs Leute in 24 Monaten so ansammeln, sind dazugekommen.
Eigentlich wollte ich nur eine Grobplanung für den Ablauf der „Rückumsiedlung“ machen, aber diese Rechnung ist nicht aufgegangen: Wir müssen für Ole eine geeignete Schule in Mönchengladbach finden, dem „Deutsch“ unserer Kinder unter die Arme greifen, ein Au-pair für Deutschland suchen und noch tausend andere „Kleinigkeiten“ in Angriff nehmen (z. B. ein Umzugsunternehmen finden, Hausinventar auflisten, Plan für die Autos machen, fristgerechte Kündigungen und Abmeldungen vornehmen, Kinder in Deutschland anmelden und uns ums Ausmisten, den Rücktransport, den garage sale, die Krankenversicherung und vieles andere mehr kümmern …).
Wie geht es mit den Kindern in Deutschland weiter?
Vor zwei Jahren haben wir Theo (7), Tim (6), Ole (4) und Paul (2) aus ihrem Leben „herausgerissen“ und sie nach Amerika verpflanzt. Mittlerweile haben sie Wurzeln geschlagen, finden sich im Alltagsleben gut zurecht, haben neue Freunde und lieben es, freitags nach der Schule vor dem Kamin zu sitzen. Jetzt im Januar, fünf Monate vor unserem Umzug, ändert sich die Blickrichtung für uns wieder Richtung Deutschland. Und auch, wenn sich „äußerlich“ noch nicht so viel tut, finde ich dieses Umschwenken im Kopf ganz schön anstrengend. Wie wird die Anpassung „rückwärts“ wohl werden? Wie wird es mit der Schule und mit Freunden laufen?
Ole (6) wird in Deutschland eingeschult. Jetzt gilt es, eine geeignete Schule für ihn zu finden. Wir wollen auf jeden Fall vermeiden, dass er „Schiffbruch“ erleidet, von daher kein „swim or sink“ mehr, wie hier am Anfang – er braucht definitiv mehr Unterstützung als ein „Durchschnittskind“. Daher müssen wir uns Schulen ansehen, die diese Extrabetreuung bieten – kein leichtes Unterfangen, und aus dieser Entfernung schon mal gar nicht.
Marc führt einige nächtliche Gespräche (Zeitverschiebung!) mit Grundschulen, denn der E-Mail-Kontakt ist an deutschen Schulen definitiv noch nicht so gut „entwickelt“ wie hier. Das kommt mir vor wie ein „Déjà-vu“, als ich vor zweieinhalb Jahren nachts in Deutschland am Telefon hing und die ersten Termine beim Kinderarzt in den USA zum „annual check“ gemacht habe. Marc fliegt zweimal nach Deutschland, führt Gespräche mit Schulleitungen und guckt sich Schulen an – und eigentlich wäre ich auch gerne mit dabei … aber okay.
Außerdem wollen wir die Zeit hier noch nutzen, eine detailliertere Diagnose für Ole zu erhalten als die vor anderthalb Jahren in Deutschland („Verdacht auf ADHS“). Es geht uns nicht ums „Label“, sondern darum, die Therapien besser abstimmen zu können und auch zu schauen, welche Fördermaßnahmen wir an der Schule einfordern können. Eine Testung hier kam bisher nicht in Frage, weil Ole zuerst einmal genug Englisch können muss. Daher stehen nun viele Extratermine für diverse Tests und Gutachten im Child Development Center im Morristown Memorial Hospital an, ich fülle jede Menge dieser endlosen Fragebögen über Oles Entwicklung aus (manche haben tatsächlich 250 Fragen!). Ole wird also neurologisch, psychologisch, audiologisch, educational (die Bildung betreffend) getestet – anstrengend. Und ich finde alles ziemlich aufwühlend und anstrengend. Aber was soll erst Ole sagen, der durch die ganzen Tests durch muss! Bisher hat er richtig gut mitgemacht.
Paul (4) wird noch ein Jahr in den deutschen Kindergarten gehen. Dort kann er endlich mal im Matsch buddeln, auch bei schlechtem Wetter. Wir hoffen, ihn dann nicht mehr alleine mit hängendem Kopf über den Spielplatz stapfen zu sehen wie hier. Er selbst findet die Idee mit dem Kindergarten übrigens bei weitem nicht so gut wie ich und protestiert lautstark: „Ich will nicht mehr in den Kindergarten!” Er will lieber in die Schule gehen, wo er doch jetzt so auf Zahlen und Buchstaben gedrillt ist. Wenn wir hier blieben, würde er im September tatsächlich in die Vorschule, also den amerikanischen “Kindergarten”, kommen, wo er dann auch von morgens 9 bis nachmittags um 15 Uhr die Schulbank drücken müsste.
Tim (8) kommt in die 3. Klasse der Grundschule bei uns um die Ecke. Er hat also die ersten beiden Grundschuljahre in Deutschland verpasst und kann Deutsch weder lesen noch schreiben. Aber zumindest hat er noch zwei Jahre Zeit, um aufzuholen und sich umzugewöhnen, bis es für ihn auf die weiterführende Schule geht. Diesen Monat ist er in der Schule als „safety patrol“ eingeteilt, d. h. er muss/darf nach der Schule im Gang stehen und aufpassen, dass sich alle Kinder an die Regeln halten (z. B. nicht rennen, nicht streiten). Er macht seinem Job alle Ehre und ermahnt viele: „No running.“
Theo (9) kommt in die 5. Klasse auf das Gymnasium bei uns in der Nachbarschaft. Ihm „fehlen“ zweieinhalb Jahre deutsche Grundschule. Eine wichtige Frage, die sich für ihn stellt, lautet: Latein oder Englisch? Englisch wäre etwas langweilig für ihn, aber ob er deswegen Latein wählen soll? Marc und ich beraten ihn, entscheiden wird er allein. Bei seinem Harry Potter-Faible tippe ich auf Latein – mal abwarten.
„War alles nur Spaß, Jungs! 🙂 ”
In den letzten zwei Jahren waren wir alle damit beschäftigt, die amerikanische preschool und Schule und die damit verbundenen Aufgaben zu bewältigen. Für Ole war der Übergang wirklich schwierig, und es ist für ihn immer noch sehr anstrengend. Auch Tim musste sich das Lesen- und Schreiben-Lernen ganz schön erkämpfen. Für das Deutsche war da kein Platz – das wäre die totale Überforderung für ihn gewesen. Daher haben wir die Kinder nicht auf die Deutsche Schule geschickt, bei der ich arbeite.
Jetzt verschiebt sich überraschend krass der Fokus im schulischen Leben: Warum noch englische “spelling words” pauken – vielleicht doch lieber wieder das Deutschbuch rausholen? In sieben Monaten wird Tim, der weder Deutsch lesen noch schreiben kann – also wirklich überhaupt nicht! – direkt in die dritte Klasse gehen. Theo hat zumindest rudimentäre Deutsch-Kenntnisse vom 1. Schuljahr, er kann Deutsch ganz gut lesen und auch nach englischen Lautregeln schreiben – fragt nur nicht, wie. Uns bleiben noch sieben Monate Zeit, das Deutsch von Theo und Tim aufzupolieren.
Daher legen wir seit zwei Wochen am Wochenende eine Deutscheinheit ein. Denn ich finde einen etwas kontrollierten „Angriff“ besser als ein “Abstürzen” in einem halben Jahr, wenn die restliche Umstellung auch noch dazukommt. Es kommen Erinnerungen an unsere erste Zeit hier in Morristown hoch, wo wir mit Theo auch schon sonntags mit den Hausaufgaben angefangen haben, weil es unter der Woche einfach nicht alles zu schaffen war.
Mit Theo arbeite ich jetzt Themen aus dem Deutschbuch der 2. Klasse durch (obwohl er hier in der 4. Klasse ist), Tim muss sich erst mal mit der deutschen Schreibschrift anfreunden. Das sogenannte „cursive” ist hier ein absolutes Stiefkind, wenig beachtet und kaum geübt. Meine Schulkinder an der deutschen Schule haben sogar Schwierigkeiten, meine Tafelanschriebe in Schreibschrift zu lesen.
Ich staune, wie viele Fehler man in einem Wort machen kann (z. B. „lekeres flysh“ – leckeres Fleisch). Eine Mischung aus vereinfachter Ausgangsschrift und englischer Schreibweise. Der Trick bei „flysh“ ist, laut wie ein/e Amerikaner/in zu lesen – dann versteht man es. So trivial, wie ich gedacht habe, ist die deutsche Rechtschreibung eben auch nicht, wenn man ans Englische gewöhnt ist und seit fast zwei Jahren Deutsch nur noch als mündliche Sprache nutzt.
Aber gemach – wir lassen uns nicht von den grassierenden “Horrorstories” einiger anderer kürzlich zurückgegangener Expat-Familien aus der Ruhe bringen. Ein bisschen was tun ist besser als den Kopf in den Sand zu stecken.
Und ganz ehrlich: Ich bin der Meinung, dass man das erste Jahr nach der Rückkehr die Deutschnote aussetzen sollte, um den Kindern Zeit geben, sich in Ruhe ans andere Laut-Buchstabensystem zu gewöhnen (und an den Rest!). Für ein paar Monate kann man doch auch wunderbar ohne Dehnungs-h und Vogel-v leben, und man ist auch ohne Schreibschrift und gute Stifthaltung noch ein liebenswerter Mensch, oder?
An der deutschen Schule, an der ich unterrichte, gelten Kinder nach ein bis zwei Jahren Übersiedlung übrigens nicht mehr als muttersprachlich (Faustregel). Einige Kinder in meiner Klasse bestätigen allerdings das Gegenteil: Sie könnten im mündlichen Bereich durchaus als Deutsche durchgehen, auch wenn ihr schriftliches Deutsch einige „Abweichungen“ zeigt.
Die Begeisterung über die Deutschstunden hält sich bei Tim und Theo stark in Grenzen. Ist ja auch irgendwie ganz schön gemein – seit zwei Jahren pauken wir hier englisch Schreiben- und Lesen-Lernen, stellen Theo alle Harry Potter-Bücher auf Englisch ins Regal (die er nun zum dritten Mal komplett verschlingt), und jetzt kommen wir auf einmal und sagen: „Ach ne, Theo, den Harry Potter legst du jetzt mal weg. Guck doch mal hier ins Deutschbuch, schreib der Oma doch mal einen Brief auf Deutsch, und hier ist ein Buch von Cornelia Funke …” So viel zum Thema „Glaubwürdigkeit”.
Das Positive: Unsere schreibfaulen Jungs werden in den nächsten Monaten wohl mehr Briefe nach Deutschland schicken als in den gesamten letzten zwei Jahren. Und wenn die Arbeit erledigt ist – nach vielen Keksen und mit zum Teil viel Gemaule vor allem von Tim, Theo nimmt es stoischer, – hüpfen sie vergnügt zu unserem Briefkasten unten an der Straße, machen ihn leer, legen dann ihren Brief hinein und klappen die rote Flagge nach oben. Was für den Briefträger heißt: „Hallo, hier ist Post, die weg muss!“
Family Bits and Pieces Januar 2012
- Vitoria hat immer noch keinen gültigen New-Jersey-Führerschein: Sie ist inzwischen so oft durch die theoretische Prüfung gefallen, dass sie jetzt sogar erst mal den sogenannten „Road Test“ machen muss, den praktischen Teil. Schon zweimal musste sie unverrichteter Dinge von dannen ziehen, weil a) jemand sie begleiten muss, der einen Führerschein hat und ein Auto für die Prüfung bereitstellt (also muss Marc wohl mit) und b) das ein Auto sein muss, das keine Mittelkonsole hat, damit der Prüfer/die Prüferin notfalls auf die Bremse treten kann (Fahrschulautos gibt es für diesen Test wohl nicht – schon komisch).
- Ein bisschen Kultur gab‘s für Marc und mich: Wir sind zu den New Yorker Philharmonikern eingeladen – ein beeindruckendes Konzert.
- Wir kaufen ein Ferienhaus in einem Dorf in der Eifel – mitten im Nichts! Der Gedanke an das in vieler Hinsicht so viel engere und kleinere Deutschland ist für uns manchmal etwas bedrückend. Und da ist uns die Idee mit einem Haus mit viel Platz drumherum gekommen. Mal gucken, ob das aufgeht …
- Wir verabschieden eine befreundete deutsche Familie, die nach sieben Jahren zurück nach Deutschland geht – und damit ist auch einer von Theos besten Freunden weg. Dabei erleben wir schon mal live mit, wie sich „die letzten Wochen“ so anfühlen: Zahlenschloss an der Tür (für Makler/innen), Fremde, die durch das Haus latschen, Leihautos, Kartons im Haus, endlose Listen, Abschiede planen, die letzte Woche im Hotel (weil alle Sachen schon im Container sind).
Auf dem Rückweg von der Farewell-Party bricht Theo in Tränen aus, weil er seine beiden besten Freunde verliert – seinen deutschen Freund, der jetzt nach Deutschland umzieht und in fünf Monaten dann seinen amerikanischen Freund, den er hier zurücklassen muss, wenn er selbst nach Hause geht.
- Und dann macht auch noch unser Lieblingscafé in Morristown zu, das „Greenberrys“. Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer: „Have you heard that …?“ Die schlechte Wirtschaftslage und der neu aufgemachte Starbucks gegenüber sind wohl mit dran schuld. Das hat niemand kommen sehen – wirklich schade, dass es unser gemütliches und familiäres Stammcafé jetzt nicht mehr gibt.
Aber wir wollen kein Trübsal blasen, sondern auch noch etwas von Land und Leuten mitnehmen: Daher geht es im Februar erst mal nach Kalifornien, im April – wie letztes Jahr –nach Florida und im Mai nach Neuengland. Jetzt oder nie – in einigen Monaten sind wir wieder so weit weg, dass wir mit sechs Leuten in den nächsten Jahren da nicht mal so eben hinkommen.
Und in New York gibt es auch noch so einige Dinge, die wir auf keinen Fall verpassen möchten, wie z. B. Ellis Island, einmal in die Oper gehen, den Kids eine Broadwayshow zeigen und vieles mehr. Und mich reizt auch noch der Sport – zumindest von jeder Sportart mal ein Spiel gesehen haben. Aber das wird vielleicht schon zu eng. Schaumermal!
Special: Zwei Jahre USA: Wie amerikanisch sind wir jetzt? |
PS: Hier geht’s weiter zum nächsten Monatsbrief. Viel Spaß beim Lesen!