Kürbiszeit

Von Riesenkürbissen, Stinktieren und Kolibris. Vom Jahresstart im September und dem „upside down“-Wirbel in der Schule. Und welches die Tops und Flops im September waren.

 
Seit dem 5. September sind wir wieder „zuhause“ in NJ. Marc, Theo (8) und Tim (6), die schon vor Paul (3), Ole (5) und mir zurück nach NJ geflogen waren, haben uns drei vom Flughafen abgeholt. Nach vier Wochen Trennung fallen sich die Kids am Flughafen in Newark freudig in die Arme, tragen sich gegenseitig durch’s Gewühl, tanzen und singen! Das hätten wir gar nicht gedacht, da sie eigentlich keine Entzugserscheinungen von den anderen gezeigt hatten. Aber es tut nach sieben Wochen tatsächlich mal wieder richtig gut, komplett zu sein. Tim will sofort von Paul wissen: „Liegt denn schon Schnee bei euch in Deutschland?“ und auf dem Weg nach Hause erzählen die vier sich im Auto gegenseitig, was sie alles erlebt haben. Es herrscht absolute Hochstimmung – das war doch mal ein überraschend guter Startschuss.

In den Geschäften und Farmen rund um Morristown gibt es nun Kürbisse in allen Farben und Formen zu kaufen – von riesengroß bis Zierkürbis. Viele Leute benutzen sie als Deko für ihre Hauseingänge.

Sommer im Herbst

Wir haben die Wochen in Deuschland sehr genossen und sie waren wichtig, weil sie uns eine erholsame Auszeit verschafft haben. Aber ich muss auch sagen, dass es wieder unheimlich inspirierend ist, hier zu sein und diese unglaubliche Vielfalt zu erleben, die es eben in dieser Form in Deutschland nicht gibt.
Während ihr wahrscheinlich gerade die ersten Lebkuchen und Spekulatius in den Geschäften entdeckt, ist es bei uns noch richtig sommerlich warm – von Weihnachtsplätzchen keine Spur. Dafür gibt’s hier überall Kürbisse – in beeindruckenden Übergrößen und im Übermaß.

Wir packen also erstmal unsere mitgebrachten Herbstsachen nach hinten in den Kleiderschrank und holen die T-Shirts und Sandalen wieder raus. Es ist aber deutlich früher dunkel (so gegen 19 Uhr), in den ersten Herbststürmen fallen die Blätter von den Bäumen und man kann den Eichhörnchen und Streifenhörnchen zusehen, wie sie sich über die Eicheln hermachen und diese auch in ihre Verstecke bringen – eben wie in Deutschland.

 

Der Rest aber fühlt sich eher wie Sommer bzw. eine ziemlich verrückte Mischung an. Zu Beginn sind die Nächte noch über 25 Grad warm und wenn man rauskommt (in Erwartung von Kühle), läuft man gegen eine Wand aus feuchter Luft und Grillengezirpe. Ähnlich geht es einem beim Verlassen der Geschäfte, wo zumindest ich immer wieder platt bin, dass es draußen immer noch wärmer ist als drinnen. Ein Laden in Madison meinte wohl, etwas für’s Herbstgefühl tun zu müssen und lockt mit Christmas Card Sale, während die Leute in ihren Flip-Flops vorbeimarschieren. Und während die Flaggendichte wieder abnimmt, bekommt man dafür überall Angebote für Grippeschutzimpfungen („flu shots“) präsentiert.

Stinktiere …

Wir sind abends manchmal im Dunkeln noch unterwegs und ich hege die Hoffung, ein echtes Stinktier zu Gesicht zu bekommen. Denn sie sind dämmerungs- und nachtaktiv und ganz gemütlich unterwegs. Bei Hundebesitzer/innen sind sie beim „Gassi gehen“ eher unbeliebt, denn eine kleine Spielrunde zwischen Hund und Stinktier endet meist damit, dass der Hund von ihnen eingesprüht wird. Der Gestank muss erbärmlich sein und lässt sich angeblich nur mit Tomatensaftvollbädern wieder halbwegs rauswaschen. Kleidungsstücke dagegen kann man getrost entsorgen nach einer Stinktierattacke. Marc und die Jungs sind einmal an einem überfahrenen Stinktier vorbeigefahren und erzählen heute noch anschaulich von dem intensiven Erlebnis.

… und Kolibris
Wenn ich bisher auch noch kein Stinktier gesehen habe, so versuche ich jetzt doch, Kolibris anzulocken. Die faszinierenden „humming birds“ sind sehr kleine und leichte Vögel (die kleinsten sind nur fünf Zentimeter groß und wiegen mit 1,6 Gramm fast nichts!), machen 40-50 Flügelschläge pro Sekunde und können sogar rückwärts und seitwärts fliegen.

 

Eine Freundin hat letzte Woche einen der hübschen Vögel an ihrem Hibiskus im Garten entdeckt. Das war ein Hocherlebnis für sie und ihren Hibiskus, dessen Blüten schon etliche Male innerhalb von Minuten von Rehen komplett abgefressen worden sind (jetzt steht er hinter Gittern). Da ich keinen Hibiskus habe und mich auch nicht über die Rehe ärgern will, nehme ich einfach eine Tränke und Zuckersaft – ich werde berichten, sobald sich der erste Kolibri hier blicken lässt.

Neu geteert

Übrigens haben sie hier in den letzten acht Wochen etliche Straßenzüge komplett neu geteert, so dass viele Schlaglöcher weg sind. Ob die das jedes Jahr so machen, weiß ich nicht – abwarten. Auch bei uns stand letzte Woche ein Mann mit seinem Teerwagen vor der Tür, der uns für 350 Dollar die Einfahrt ausbessern wollte – schon mit Blick auf den nächsten Winter. Wir haben dankend abgelehnt.

Alles neu macht der … September!

Im September werden hier die Uhren wieder auf Null gedreht – alles einmal kräftig durchschütteln (das Gefühl habe ich jedenfalls). Die Leute sind aus ihren Sommerhäusern zurück, die Hitze ist erträglich geworden und am 6. September ist Labor Day (Feiertag, immer der erste Montag im September), der das offizielle Ende des Sommers einläutet – alles danach gehört eben nicht mehr in den „summer“. Die Leute reden jetzt von dieser Jahreszeit schon in der Vergangenheit – „In the summer we went…“ – auch wenn sie gleichzeitig bei ziemlicher Hitze in knappen Klamotten herumlaufen – etwas verrückt. Jetzt beginnt hier ein neues Jahr: Es gibt etliche Kalender, die den September als ersten Monat haben – und das nicht nur in den Kalendern für Lehrkräfte wie bei uns in Deutschland.

Schule upside down

Am Tag nach Labor Day geht nach elf Wochen Pause die Schule wieder los. Andere Bundesstaaten starten schon früher, aber hier ist es traditionell immer dieser Tag. Irgendwie wechselt viel mehr zum Schuljahresanfang als bei uns. In der Schule werden alle Klassen einer Jahrgangsstufe jedes Jahr komplett durchgemischt, stets gibt es dann eine neue Lehrerin oder einen neuen Lehrer. Während in Deutschland so etwas undenkbar wäre und Entsetzen bei den Schüler/innen und Eltern auslösen würde, schlagen hier die Mütter die Hände über dem Kopf zusammen, wenn ich erzähle, dass man in Deutschland mindestens zwei bis drei Jahre Kontinuität anstrebt. Ihr Argument: „Oh, that’s horrible. Then you are stuck with a bad teacher for more than one year.“ Ja, klingt ja auch irgendwie einleuchtend. Auf jeden Fall bekommen die Kids hier jedes Jahr in einer neuen Klasse eine neue Chance (sowohl, was Lehrer/innen als auch, was Mitschüler/innen angeht) und kennen nach vier bis fünf Jahren so ziemlich alle Kinder in ihrer Jahrgangsstufe – auch nicht schlecht.

 

Für Theo und Tim ist das jedenfalls die Chance, das Image des „Fremdlings“ (anders angezogen, kein Wort Englisch sprechend) loszuwerden und in einer neuen Klasse neu zu starten. Auch was Sportkurse und sonstige freizeitliche Aktivitäten angeht, muss man jetzt wieder auf die Suche gehen. Hier dauern die meisten Angebote nur zwischen vier und acht Wochen, danach steht man wieder ohne da – das nervt mich ziemlich.

Hauptsache flexibel

In Oles (5) und Pauls (3) preschool sind zwar die Hauptlehrerinnen geblieben, aber auch dort haben die Musiklehrerin und die Spanischlehrerin wieder gewechselt. Wo sind bloß die anderen geblieben? frage ich mich. Vieles scheint hier von vornherein auf kürzere Zeitspannen angelegt zu sein. Die Kinder lernen jedenfalls schon von klein auf, flexibel zu bleiben und sich auf wechselnde Situationen einzustellen. Vielleicht sind einige Leute aber auch manchmal daher so kurzatmig und zeigen wenig Bereitschaft durchzuhalten/zu bleiben, wenn mal eine Situation etwas schwieriger ist – wie z. B. unsere Nannys Jane und Duaa oder auch die Leute bei Marc im Büro, die schon nach kurzer Zeit unvermittelt kündigten. Da muss man aufpassen, den Mund aufzumachen, denn sonst sieht man sie nur noch von hinten …

Langfristig ist deutsch

In Deutschland sind wir viel mehr auf langjährige, zumindest langfristige Gruppierungen eingestellt – in Sportvereinen, der Grundschule (am besten vier Jahre mit einer einzigen Lehrerin bzw. einem einzigen Lehrer), und ich hatte auf dem Gymnasium sogar sechs Jahre denselben Klassenlehrer. So etwas löst bei den Müttern hier Fassungslosigkeit und Ungläubigkeit aus, gepaart mit Schrecken und Grauen – und ich muss zugeben, dass sie ja auch ein valides Argument haben: jahrelanges Leiden bei schlechter Lehrerin bzw. schlechtem Lehrer.

Eine der wenigen langjährigen Konstellationen, die ich bis jetzt entdecken konnte und mit denen die Kids hier klarkommen müssen, sind die Schulbusse. Denn da wechselt gar nichts über die Jahre – außer jemand zieht um. Und da es auch keine unterschiedlichen Schultypen gibt – mit der Ausnahme von Privatschulen – wird man die Nachbarskinder für die nächsten zwölf Jahre nicht mehr los. Ausnahme bilden da der Bus und der Busfahrer: Wir haben einen neuen und da gab es direkt dicken Ärger – dazu später mehr.

Unser zweiter Start

Jetzt, vier Wochen nach unserer (Wieder-)Ankunft in Morristown, kann ich sagen: Es war ein guter zweiter Start. Viel runder als der im Januar, alles schon viel vertrauter – wir haben die erste anstrengendste Phase wohl hinter uns. Marc hat in fast allen Punkten gute Vorarbeit geleistet, und alle Kinder sind gut ins neue Schuljahr gestartet. Selbst Ole macht sich richtig gut – mit verkürztem preschool-Alltag und Ergotherapie. Nur auf seinen Sandkasten muss er noch warten.

 

Und es hat tatsächlich geklappt: Wir haben seit zwei Wochen ein Au-pair aus Brasilien! Das wird eine große Erleichterung im Alltag sein.
Ich habe endlich auch wieder einen Job – an der Deutschen Schule von Morris County, jeden Samstagvormittag. Es tut mir soooo gut und ist richtig spannend, mal einen Einblick ins amerikanisch-deutsche Schulleben zu bekommen. Marc hat zwar keinen neuen Job, hat sich dafür aber ein neues (ziemlich zeitintensives) Hobby zugelegt: Fliegen. Doch dazu später mehr.

Also – wir sind wieder im Rennen und freuen uns über einige Upsides wie z. B. eine neue Waschmaschine (ha, ich bin die Albtraumwaschmaschine los 🙂 ), ärgern uns ein bisschen über einige Downsides wie z. B. endlose Bürokratie in der Schule. Aber selbst kleinere kulturelle Unterschiede wie bei Matratzen oder Kinderkarussels können uns im September nicht aus der Fassung bringen.

Rieseneinkauf Linsen

Das Wichtigste zuerst: Ole geht es schon besser. Er geht weiterhin zur Montessori-preschool (die haben einfach unschlagbar gutes Material für die Kids) und bleibt inzwischen schon zwei Stunden pro Tag alleine dort. Das Gespräch mit der Leitung und den Lehrerinnen verlief gut, denn sie sind bereit, Ole an vielen Stellen entgegenzukommen. Er geht zwei Mal pro Woche zu seiner Ergotherapeutin Mrs. Thompson, mit der er sich sehr gut versteht. Er hat einfach wieder viel mehr Selbstvertrauen, ist fast schon ein anderes Kind, macht große Fortschritte in allen Bereichen – auch im Englischen – und ist in jeder Hinsicht in der Aufwärtsspirale. Uns fällt ein riesengroßer Stein vom Herzen (alle, die Kinder haben, wissen, wie sich das anfühlt) und entsprechend leichter fällt der Rest.

Er wartet zwar noch vergeblich auf den Sand in den zwei Minisandbecken in seiner preschool (seit über fünf Monaten!), aber dafür haben wir schon mal einen Großeinkauf Linsen getätigt, die nun in Wannen bei uns im Wohnzimmer stehen und in denen alle Kids, nicht nur Ole, „Fühlbäder“ nehmen – da hat sich die Geduldsprobe beim Einkaufen dann auch gelohnt. Unsere Fall-back-Lösung, die Koffer an Weihnachten für immer zu packen, falls es Ole nicht besser ginge, scheint daher im Moment obsolet.

 

Tägliche Übung: der Fahneneid
Paul ist wie immer komplett flexibel – er war bisher in der gleichen Gruppe mit Ole, hat jetzt aber in eine andere gewechselt, damit er unabhängiger von mir ist. Ich bin ja wegen Ole immer früh da, und dann kann er natürlich nicht verstehen, weshalb ich nur seinen Bruder mitnehme. Paul ist zwar noch sehr schüchtern, erobert aber die Herzen im Flug und ich lerne neue Worte von den Lehrerinnen, wenn sie über ihn reden: „He is a love bug (Liebeskäfer)“ oder „He is such a sweet pea (süße Erbse)“.
Für ihn gibt es jeden Morgen den Pledge of Allegiance, eine Pflicht für alle Kinder in Kindergarten und Schule in NJ – keiner unserer Jungs kommt da dran vorbei:

„I pledge allegiance to the flag of the United States of America, and to the republic for which it stands, one nation under God, indivisible, with liberty and justice for all.“

 

“Ich schwöre Treue auf die Fahne der Vereinigten Staaten von Amerika und die Republik, für die sie steht, eine Nation unter Gott, unteilbar, mit Freiheit und Gerechtigkeit für alle.”

Für mich ist es definitiv gewöhnungsbedürftig, Paul so zu sehen – aber es gehört hier einfach mit dazu. Nach zwölf Jahren Schulzeit ist dieser Satz unauslöschbar in die Hirne aller Kinder eingebrannt – in höheren Klassen gibt es als Alternative auch das Singen der amerikanischen Nationalhymne.

3. Klasse für Theo, 1. Klasse für Tim

Für Theo (8) und Tim (6) geht die Schule endlich wieder los. Tim kommt ins 1. Schuljahr und bleibt weiterhin auf der „Hillcrest“ (Schule für „Kindergarten“ sowie das 1. und 2. Schuljahr), Theo kommt ins 3. Schuljahr und muss auf die Alexander Hamilton School wechseln (Schule fürs 3. bis 5. Schuljahr). Marc und ich sind überrascht, wie einfach es den beiden fällt, nach elf Wochen Ferien wieder mit Rucksack auf dem Rücken in den Schulbus zu steigen. Sie nehmen weiterhin denselben Bus, aber Tim muss eine Station vorher aussteigen.

 

Beide haben es gut angetroffen mit ihren Lehrerinnen und es gibt weniger Hausaufgaben, vor allem für Theo (puh!). In Deutschland würde ich mir vielleicht Sorgen machen (lernen die auch genug?), hier bin ich zunächst mal froh, denn das bedeutet definitiv weniger Stress an unseren Nachmittagen und die Kids haben ja eh schon sehr lange Schule (Theo jeden Tag bis 15.30 Uhr).

Klo-Stress

Theo regt sich in den ersten Tagen ziemlich auf, dass er immer, wenn er in der Schule zur Toilette muss, die Uhrzeit in ein Buch eintragen muss, einen „Passierschein“ für den Flur (floor pass) bekommt und sich dann wieder eintragen muss, wenn er zurück ist. Es nervt ihn, dass sie auf den Schulfluren weder reden noch laufen dürfen und trotz des langen Schultages kaum Zeit haben, sich mal mit den Klassenkameraden auszutauschen. Aber ansonsten ist er zufrieden.

 

Er ist im Mileage Club und rennt in jeder Pause Runden auf dem Rasen des Schulhofes – das ist doch mal ein Fortschritt zur Hillcrest School, wo Laufen ja generell verboten ist. Sein Name steht daher im Schulflur auf dem Plakat des Mileage Clubs. Er ist immer noch im ESL/ELL (English as a Second Language/English language leaner)-Programm und hat daher jeden Tag zwei Einheiten (writing-and-reading-workshop), wo er aus seiner normalen Klasse herausgezogen wird und in einer kleinen Gruppe von acht Schülerinnen und Schülern zusätzliche Unterstützung bekommt.

Top-Betreuung für Kinder mit anderer Muttersprache

Mrs. Johnson ist eine super engagierte ELL-Lehrerin (ESL/ELL = English as a Second Language/English Language Leaner-Programm), die alle ihre Schüler/innen dort abholt, wo sie gerade stehen und ihnen dort Unterstützung bietet, wo sie es brauchen. Sie hat mich bei der Back to school night (Pendant zum deutschen Elternabend) wirklich tief beeindruckt mit ihrem Enthusiasmus einerseits und ihrem modernen Konzept andererseits. So einen super Service gibt es in Deutschland nicht für Kids, die die Landessprache noch nicht so gut können. Die müssen selber gucken, wie sie klarkommen.

 

Aber vielleicht wäre es ja auch an der Zeit, bei uns Programme für solche Kinder einzurichten, zumindest in den Bereichen, wo viele Immigrantenkinder oder Flüchtlinge leben. Jedenfalls besser als zu schimpfen, dass manche Kinder in der Schule noch nicht mal richtig Deutsch können, denn die Kids können ja wirklich am wenigsten dafür.

Und schon wieder: Anstellen

Tim fühlt sich ebenfalls in seiner neuen Klasse richtig wohl. Seine Hilfslehrerin, Mrs. Abato, schwärmte mir vor: „Oh, he is so cute. I love his accent.“ Na dann! Für ihn stellt das Lesen zurzeit eine große Herausforderung dar, denn die Vokale im Englischen werden einfach je nach Wort verschieden ausgesprochen – viel komplizierter als im Deutschen. Das Konzept im 1. Schuljahr ist hier komplett anders als bei uns an der deutschen Schule, denn die Kinder sind ja auf ganz verschiedenen Niveaus. Viele können schon lange lesen (letzte Woche hat ein Kind aus Pauls Klasse zu seinem vierten! Geburtstag flüssig vorgelesen – ich war platt!).

Aber das kindergarten-Jahr ist nicht verpflichtend in New Jersey, von daher gibt es eben auch einige (wenige) Kinder, für die Buchstaben und Zahlen noch Neuland sind und auch Tim fängt ja gerade erst damit an. Aber Tim ist guter Dinge, genau wie wir, denn die übrigen Bereiche fallen ihm leicht und er geht gerne mit seinem neuen Delfinrucksack zur Schule. Er lernt im Moment so richtig amerikanische Gedichte.

 

Hier ist eins, das von der Anstell-Etikette handelt – richtiges Anstellen will gelernt sein (Tipp: am besten laut lesen, mit breitem amerikanischen Akzent, dann reimt es sich sogar):

Lining up

I will not shove, (Ich werde nicht drängeln,)
I will not push, (Ich werde nicht schubsen,)
I will not try to pass, (Ich werde nicht versuchen zu überholen,)
I will not lag behind the rest, (Ich werde nicht zurückfallen,)
I’ll line up with my class. (Ich werde mich mit der Klasse aufstellen.)

Nun zu mir

Mir geht es auch gut – ich freue mich im Moment einfach darüber, dass es Ole so viel besser geht und dass auch die anderen Kids zufrieden sind – da komme ich im Moment mit den kleinen Rückzugsräumen für mich gut aus. Die Aachener Hochschulfitness aus der Konserve (aufgezeichnet auf DVD) funktioniert auch in unserem Keller gut. In meinem neuen Job an der Deutschen Schule von Morris County habe ich schon eine Menge darüber gelernt, inwiefern sich deutsche Schulen in den USA von deutschen Schulen in Deutschland unterscheiden (auch wenn wir eine deutsche Schulleiterin haben und Deutsch das einzige Unterrichtsfach ist).

Meine erste Lehrerkonferenz vor Unterrichtsbeginn lief so ab:
Die Schulleiterin stellt sich vor und macht dann sofort etwas unmissverständlich klar (vor allem in Richtung der neuen Lehrerinnen): „Ihr habt bei den Unterrichtssthemen ziemlich freie Hand (kein fester Lehrplan für die unteren Klassen), aber no sex, no politics, no religion – da verbrennt ihr euch nur die Finger. Die Eltern hier sind anders als die Eltern in Deutschland. “ Entsprechende Seiten in unseren Deutschbüchern (von deutschen Verlagen) sind zu überspringen – das kann nur schiefgehen.

Meine Klasse

In meiner Klasse sind nur acht Kinder (12 bis 13 Jahre) – dafür haben alle unterschiedliche Deutschkenntnisse. Manche reden so gut Deutsch, dass ich sie auf den ersten Blick nicht von deutschen Muttersprachlern/innen unterscheiden kann. Andere reden wirklich gut Deutsch, aber noch mit einigen Fehlern (Deutsch als zweite Sprache – DaZ). Und dann gibt es die, die Deutsch eher als Fremdsprache haben (mit vielen Fehlern und deutlichem Akzent). Einige sind Expat-Kinder oder solche, die ein deutsches Elternteil haben, aber schon seit vielen Jahren oder ihr ganzes Leben lang in den USA wohnen. Manche haben auch „nur“ deutsche Wurzeln, wenn z. B. die Großeltern aus Deutschland kommen. Auf jeden Fall eine bunte Truppe.

Spaß mit Grenzgänger/innen
Es macht unheimlichen Spaß, mal wieder mit größeren Kids zu arbeiten. Ich bin wirklich fasziniert von diesen „Grenzgänger/innen“, die sich ziemlich zielsicher in verschiedenen Kulturen und Sprachen bewegen und blitzschnell darin wechseln können. Daher – klar – sobald ich ihnen den Rücken zukehre, reden alle nur Amerikanisch miteinander, und einige haben dann auch noch eine dritte Sprache in petto, in der sie flüssig kommunizieren können.

Neulich beim Abholen sprach ein Junge fließend Französisch mit seiner Mutter – wirklich erstaunlich. Die Arbeitsmotivation der Kids ist nicht immer die beste, aber wer kann es ihnen verübeln, wenn sie samstagmorgens nach anstrengender Woche auch noch drei Stunden in die deutsche Schule müssen – wobei Unterricht am Wochenende für Kinder, egal ob Sprache oder Religion, hier durchaus verbreitet zu sein scheint. Theo und Tim tun wir das jedenfalls nicht an – da werden wir wohl eine individuelle Lösung finden müssen, damit sie ihr Deutsch und z. B. die deutsche Rechtschreibung auf dem Radar halten.

Ich gebe mein Bestes, den Unterricht abwechslungsreich und spannend zu gestalten, aber ich ahne jetzt schon, dass die besseren Überraschungen von der anderen Seite kommen: Die Aufgabe, ein eigenes Ende zu erfinden für die Geschichte von einem Jungen, der bei einem Klassenausflug im Wald verloren geht, wurde von allen mit Eifer ausgeführt, und am Ende hatten wir sechs (z. T. tödliche) Bärenattacken, einen Wildwasserunfall und eine Naturkatastrophe (Tornado). Solche Enden kenne ich von deutschen Schulkindern weniger. 🙂

Sehnsucht nach Tafel und Kreide

Ich vermisse allerdings „richtige Tafeln“ und Kreide! Hier gibt es nur sogenannte „dry-eraser-pens“ (trocken-abwischbare Stifte, Riesensauerei), die auf weißen Kunststofftafeln schreiben. Außerdem hat man überall dunklen Teppichboden, die Kids sitzen an Einzelpulten (es gibt keine Zweier-Bänke), überall läuft die Klimaanlage (und das oft störend laut). Die Fenster sind zum Hochschieben (wie in vielen Filmen) und klemmen allesamt.

Aber das sind Kleinigkeiten, die meine Freude, endlich wieder unterrichten zu können, nicht wirklich trüben. Alle Wände in meinem Klassenraum sind übrigens voll mit „klugen Sprüchen“ (Amerikaner/innen haben eine Schwäche für gute Sprüche, wie mir scheint), die sicherlich bis ans Lebensende reichen. Ich unterrichte im Moment genau unter einem Spruch von Otto von Bismarck: „The nation that has the schools, has the future.“ Das Einzige, was mich richtig nervt, sind die elektrischen Bleistiftspitzer, die es in allen Klassenräumen gibt. Wenn also ein Kind den Bleistift (anscheinend das Lieblingsschreibgerät der meisten) spitzen will, dann steht es einfach auf, geht nach hinten, und dann heult die Maschine auf (und alle Konzentration ist weg). „Hand“-Spitzer habe ich noch bei keinem gesehen.

Übrigens kommt man auf einmal in ein Dilemma, weil man wieder in offiziellen Zusammenhängen mit deutschen Familien zu tun hat: „Du“ oder „Sie“? Aber klar, das englische „you“, was man mit den Eltern austauscht, entspricht eben in diesem Zusammenhang dem deutschen „Sie“ – da muss man blitzschnell schalten, wenn man gemischte Elternpaare vor sich hat und zwischen den Sprachen hin- und herwechselt. Aber es klingt auf einmal wieder ungewöhnlich formell, nachdem man monatelang das „you“ und den Vornamen für Leute wählt, die einem wildfremd sind.

P3 hat Erfolg

Marc erzählt:
Der September war auch wieder ein sehr turbulenter Monat. Bei P3 haben wir eine weitere Fortsetzung des Aufschwungs erlebt, der sich bereits im August abgezeichnet hat. Wir hatten zwischendurch erhebliche Personalengpässe und unsere Leute arbeiten zum Teil rund um die Uhr. Ende September habe ich zum ersten Mal selbst in einem Projekt LTE (Mobilfunk der vierten Generation, Nachfolger von UMTS) erleben dürfen und dabei Datenraten von 60 Mbit/s gemessen – unglaublich! Für Verizon Wireless bauen wir jetzt eine Flotte von Messwagen auf, im September wurde der erste geliefert. Mehr dazu im Oktoberbrief. Ich bin im September nicht so viel gereist, einen mehrtägigen Trip nach San Diego, Atlanta und Florida habe ich in letzter Sekunde meinen Kollegen übergeben. Ich denke aber, der November wird wieder etwas intensiver, da ich mindestens einmal an die Westküste muss.

Arbeiten rund um die Uhr

Ich bin sehr froh, dass sich die Familiensituation wieder etwas eingependelt hat. Viele der Maßnahmen der vergangenen Wochen greifen. Und alle scheinen endlich mehr in sich zu ruhen, obwohl das Leben immer noch ein wahnsinniges Tempo aufweist. In manchen Wochen habe ich so viel gearbeitet, dass ich mehrfach erst um drei Uhr in der Früh aus dem Büro gekommen bin, NACHDEM ich mit meinen Kollegen in Europa telefoniert hatte, die gerade den zweiten Kaffee klargemacht haben. Am Wochenende war es meistens ruhiger, aber ich habe dann so viel Schlaf nachgeholt wie ich nur konnte …

Spannendes neues Hobby

Außerdem habe ich mit meinem Pilotenschein angefangen! Ich bin eine Stunde mit einer Diamond DA40 (mit Garmim G1000 Glas-Cockpit) von MMU (Morristown Airport) geflogen und habe den Flug zu 95 Prozent selber machen dürfen/müssen. Das war ziemlich krass, denn das war echtes Multitasking: Controls, Instruments, Navigation, Radio Coms und Flight Instructor und das alles in Echtzeit. Es war sehr spannend und ich war danach echt froh und fertig – gleichzeitig! Leider musste ich dann aussetzen, denn seit 9/11 müssen alle Ausländer/innen nach der ersten Stunde durch einen Sicherheitscheck, der im September nicht mehr abgeschlossen werden konnte.

Recht

Britta bat mich, auch etwas zum Thema Vertragswesen zu schreiben (Juristen mögen mir die laienhafte Darstellung verzeihen): Anders als in Deutschland, wo die Eckpfeiler des Rechts in den Gesetzestexten absolut festgeschrieben werden, wird hier im Angelsächsischen vieles auf vorangegangene Rechtsprechungen zurückgeführt (Präzedenzfälle).

Um in diesem Chaos für Ordnung zu sorgen, werden in den Verträgen extrem viele Details explizit geregelt. Als Konsequenz sind die Verträge oft sehr lang und ausführlich (40+ Seiten für einen einfachen Dienstleistungsvertrag sind keine Seltenheit, wobei die längsten Passagen den Themen Haftung und Haftungsfreistellung sowie Schadensersatz und geistiges Eigentum (IPR – internationales Privatrecht) gewidmet sind. Das führt dann auch dazu, dass man beim einfachen Mieten eines Kanus auf dem Delaware River an ca. zehn Stellen seine Initialen auf den Vertrag setzen muss, bevor man dann unten vollständig unterschreibt.

Auf diese Weise gehen sie auf Nummer sicher, dass man bestimmte Passagen zur Kenntnis genommen hat und den Veranstalter nicht verklagen kann. Diese Angst vor Haftung sorgt auch dafür, dass die Betreuerinnen in der preschool NIE alleine mit den Kindern auf der Toilette sein dürfen, denn im Falle einer Klage wegen „sexual harassment“ stünde Aussage gegen Aussage. Ich habe da gerade selbst erste Erfahrungen mit dem US-Recht machen dürfen („In the US, anybody can sue anybody on anything“), doch auch dazu mehr im Oktoberbrief.

Neu an Bord: Morena

Ich kann es selbst kaum glauben, aber wir haben tatsächlich ein Au-pair (unerlaubterweise, da wir weder American citizens noch permanent residents sind). Wir haben in der Bewerbung als Gastfamilie einfach ein Kreuz bei permanent residents gemacht und sind glücklich durchgeschlüpft durch das sonst doch so feine Netz aus Gesetzen, Regeln und Kontrollen hier. Und bleiben hoffentlich unentdeckt 🙂 .

Ihr Name: Morena, 23, aus Brasilien. Morena hat uns auf Anhieb beim Auswahlverfahren sehr gut gefallen. Sie ist sehr kommunikativ, herrlich unamerikanisch und hat in Brasilia am College unterrichtet. In den ersten Wochen kam schnell heraus, dass sie keinerlei Erfahrung im Haushalt hat (privilegiertes Leben mit Hausangestellen bisher, räumte in der Spülmaschine alle Gläser verkehrt herum ein und fühlte mit der Gabel, ob denn die Eier im Wasserbad bald gut wären), aber sie scheint bereit zu sein, sich reinzuknien – darauf kommt es an. Auch mit den Kindern kommt sie ganz gut klar – Ole und Paul haben ihr schon beigebracht, wie man Kuchen backt. Obwohl sie noch einige Übungsstunden im Autofahren braucht und wir sie bisher nicht alleine mit den Kids fahren lassen, ist sie eine große Hilfe und bringt definitiv mehr Ruhe in unser Alltagsleben.

Und Marc und ich lernen auch wieder etwas dazu: Am Wochenende ist Morena meist perfekt gestylt auf Partys unterwegs und föhnt sich vorher ZWEI Stunden die Haare (wusstet ihr, dass das geht?) – so ab der 90. Minute fliegt wegen Überhitzung des Föns alle fünf Minuten die Sicherung heraus. Aber gemach – ich bin zuversichtlich, dass es diesmal gutgeht (unser dritter Versuch in Sachen Nanny).

Die September-Tops 🙂

Multi-Kulti
Es ist einfach unglaublich erfrischend zu sehen, wie viele verschiedene Kulturen hier miteinander und nebeneinander leben. Die Metapher der „salad bowl“, die die amerikanische Gesellschaft mit einer Salatschüssel vergleicht, macht Sinn: Es gibt ganz viele verschiedene „Gemüsesorten“, die als solche auch noch gut zu erkennen und zu unterscheiden sind (die verschiedenen Kulturen), die aber dennoch gemeinsam etwas Neues bilden, nämlich den „Salat“ (die amerikanische Gesellschaft). Unsere Jungs spielen nach der Schule oft auf dem Spielplatz vor der Schule und das bunte Treiben dieser „ganz gemischten Kindertruppe“ ist toll anzuschauen.

 

Ich habe in der ganzen Zeit noch nie das Gefühl gehabt, ausgeschlossen zu werden, weil wir aus Deutschland kommen. Es hat noch niemand das Gesicht verzogen, wenn wir mit Akzent reden und es gab keine einzige offene Anfeindung.

Bullauge willkommen

Ich bin sie los – unsere Zombie-Waschmaschine. Unsere neue Waschmaschine hat das Bullauge vorn, kennt zwar auch keine Gradeinstellungen, aber sie schleudert ordentlich, hat ein Fusselsieb, und sogar ein Programm mit „very hot“, mit dem ich mir einmal schon die Wäsche verfärbt habe (und ich habe mich darüber gefreut). Endlich!

Die Bahn

Ich „gucke“ jeden Tag „Züge“ mit unseren beiden Eisenbahnfans Ole und Paul – die nach New York, die direkt hinter der preschool vorbeifahren. Witzige Situation: Am zweiten Tag nach unserer Rückkehr sitzen wir drei auf einer Bank im Bahnhof und machen Picknick. Noch ziemlich müde vom Jetlag bin ich einen Moment eingenickt und werde von lautem Rufen plötzlich geweckt. Es ist tatsächlich der Lokführer des New York-Zuges, der seinen Kopf aus der Riesenmaschine steckt und mir zuruft, ob wir nicht auch noch einsteigen wollen. „Thanks for asking, but no …“ Das ist doch mal wirklich aufmerksam, oder?

Mit der Bahn hatten wir auch schon vorher gute Erfahrungen gemacht – sie haben mich mit den Kids zweimal umsonst fahren lassen, und als wir einmal vom „falschen“ Gleis „Züge geguckt“ haben, wurden wir in kürzester Zeit von verschiedenen Passant/innen darauf aufmerksam gemacht, dass heute die Züge vom anderen Gleis abführen (wegen einer Baustelle). Sie dachten eben auch, dass wir mitfahren wollten und wollten uns rechtzeitig informieren – ist das nicht einfach super nett?

Die September-Flops 🙁

Erster Flop ist der Paperwork-Frust. Die spinnen, die Amerikaner/innen: Zu Beginn eines neuen Schuljahres müssen Eltern hier etliche Formulare ausfüllen, auch wenn wir genau dieselben schon vor acht Monaten ausgefüllt haben und sich einfach die allermeisten Dinge nicht geändert haben (wie z. B. Adresse, Telefonnummern etc). Bei vier Kindern kostet uns diese Ausfüllarbeit mindestens zwei Abende und mich ziemlich viele Nerven: Das Beste sind die Formulare, auf denen man drei Mal unterschreiben muss, nämlich so ungefähr nach jedem Satz. Hier eine kurze Liste von den Papieren, die wir für Theo und Tim ausfüllen mussten (oft mehrere Seiten pro Punkt und z. T. auch mit der Unterschrift der Kids):

  • Direct Donation Drive
  • Morris School District Emergency Card
  • Student Health Questionnaire
  • MSD user agreement of understanding
  • Transportation Department
  • Universal Sign-off form
  • Internet Use Policy
  • Transportation Rules
  • Photo Permission Form
  • Character Code
  • Annual Integrated Pest Management Notice …

Puh!

Marc liegt immer noch mit der preschool von Ole und Paul im Clinch, weil die wollen, dass wir wieder mit den Kids zum Arzt gehen und 400 Dollar dafür ausgegeben. Und das nur, um das gleiche Formular (Universal Health Child Record) von Ole noch mal ausfüllen zu lassen (klar, mit leicht anderem Körpergewicht und Größe). Da wird man ganz schnell zum Querulanten abgestempelt, obwohl man nur seinen Menschenverstand benutzt. In dieser Hinsicht ist Deutschland ein Paradies: Eine Unterschrift reicht da für drei Jahre (Kita) oder sogar vier Jahre (Grundschule) – purer Luxus.

Der „Spiel-Zwinger“

Unsere preschool ist in ein neues Gebäude umgezogen. Enttäuschend ist der Spielplatz, der immer noch eher ein Zwinger ist als ein Außengelände. Der Parkplatz ist dagegen wieder gigantisch groß (bloß keinen Meter zu weit laufen!). Macht euch auf dem Foto selbst ein Bild vom neuen „playroom“ der preschool (als Alternative zum Rausgehen bei „schlechtem“ Wetter, d. h. wenn mal ein Wölkchen am Himmel zu sehen ist!).

Der neue Spielraum ist kalt und wenig einladend. Die Kids, die sich endlich bewegen wollen, dürfen im hinteren kleineren Teil laufen (auf vielleicht 16 Quadratmetern), die anderen spielen davor auf dem Boden. Das rote Spielelement darf übrigens nur bekrabbelt werden, sich darauf zu stellen ist verboten (zu gefährlich!).

Der Aufkleber auf einem SUV einer Mutter unserer preschool: „America was founded by right-winged extremists“ – da muss ich gleich an die tea party denken, die auch schon zweimal hier in Morristown war und gleich die ganze Stadt lahmgelegt hat mit Hetztiraden gegen Obama …

Alptraum

Unser Bett bzw. die Matratze hier ist ein Alptraum – kein Wunder, wenn eine 30 cm dicke Matratze auf einem Sperrholzkasten liegt (ist hier so). Ich will mein deutsches Bett, aber wie kriege ich das hier hin? So lange versuche ich es mit einem Bett von IKEA mit einer extra harten Matratze und einem europäischen Lattenrost.

Culture clash

Verboten! Verboten! Verboten!
Schon fast ein alter Hut, die allgegenwärtigen Gebote und Verbote – aber immer wieder erwischen sie mich auf dem falschen Fuß. Als ich Theo das erste Mal von seiner neuen Schule abhole, bleibe ich zuerst mal stehen und lese mir alle Verbotsschilder durch. Ich bin unsicher, ob ich vielleicht nicht doch unautorisiert bin und dann gleich abgeführt werde. Mein persönlicher Favorit: No horseback riding. Das muss wohl historische Gründe haben, oder? Ein ähnliches Schild steht hier übrigens auch bei einer Auffahrt auf den Highway mitten in Morristown: No pedestrians, no bicycles, no horses.

Bitte ans Pferd schnallen

Besuch im Zoo: ein klassisches Karussell mit Tieren, die sich auf- und abbewegen (auf Englisch sehr anschaulich merry-go-around genannt). Ich setze Ole und Paul gerade auf zwei Tiere, als ich von der Seite böse aufgefordert werde, die Kids doch bitteschön anzuschnallen! Ich bin perplex, die Frau redet weiter auf mich ein, bis ich sehe, dass es tatsächlich Anschnallgurte an den Tieren gibt. Artig schnalle ich Ole an, für Paul bleibt keine Zeit. Das Beste ist ein Vater, der auf einem Tier sitzt und sich ebenfalls angeschnallt hat – ich bin platt! Paul hat die ganze Geschichte ohne mich und ohne Anschnallen überstanden.

 

“Everybody freeze“

Beim preschool-Elternabend (Back-to-school night) erklären sie uns ganz genau, was passiert, wenn ein Kind in die Hose gemacht hat: Das Kind wird ins Badezimmer geschickt, dann wird eine weitere Lehrperson dazugeholt, die gemeinsam mit der ersten beim Wechseln der Kleidung dabei ist. Klingt ziemlich kompliziert – ich habe zufällig bei Ole in der Gruppe eine solche Situation erlebt – eine ganze Kindergartengruppe in Aufruhr wegen einer Pipipfütze: „Everybody freeze“ (lauter Ruf der Hauptlehrerin), alle Kinder gucken auf, fragende Gesichter, dann war der Übeltäter (hochroter Kopf) schnell identifiziert, tuscheln, dann eine EWIGKEIT warten, bis eine dritte Lehrkraft gefunden war – zwei gingen dann mit Kind auf die Toilette, die dritte „bewachte“ den Rest der Kids.

Ich wollte den armen kleinen Kerl instinktiv einfach in den Arm nehmen und ihm sagen, dass alles o. k. ist. Wäre vielleicht für ihn doch wichtiger gewesen als die zweite Lehrkraft zur Kontrolle der ersten Lehrkraft. Ich habe manchmal den Eindruck, dass ganz kleine Dinge hier ziemlich verkompliziert werden. In meinen europäischen/deutschen Augen führen diese extremen Maßnahmen (sie wollen das Kind natürlich schützen, und auch sich selbst vor Missbrauchsklagen bewahren) zu absurden Situationen, in denen manchmal die Spontaneität und Menschlichkeit verlorengehen. Auf der anderen Seite ist es natürlich richtig und wichtig, die Gelegenheiten für Missbrauch so gering wie möglich zu halten. Jedenfalls ist die Umsetzung, die sie hier haben, nicht so überzeugend und wirkt aufgesetzt. Aber wie dann? Schwierige Sache.

 

Ich dachte bisher immer, dass ich schon recht gründlich bin in allem, was ich so tue (und das wirft mir Marc manchmal vor), aber ich bin hocherfreut zu sehen, dass da noch viel mehr drin ist (et voilà, Marc!).

Marshmallow feet

Zum Abschluss noch etwas Harmloses, bei dem ich immer schmunzeln muss: Wenn die Kinder in der preschool leise die Treppen hinaufgehen sollen, dann müssen sie alle hintereinander, rechts an der Wand entlang und ohne zu reden gehen (eben diszipliniert, soweit so gut). Wenn man dann aber doch ihre Schritte hallen hört, dann heißt es: „Remember, please walk on marshmallow feet.“ Das ist doch mal richtig anschaulich 🙂 und macht mir immer sofort Appetit.

So, das war’s für diesen Monat – wir sind zufrieden, dass es endlich wieder runder läuft und die Zukunft für uns hier wieder bunter aussieht.

Im Oktober hoffen wir auf einen sonnigen Indian Summer und die Kids fiebern schon jetzt ihrem ersten echten Halloween entgegen.

 

Fröhliche Kürbiszeit
 PS: Hier geht’s weiter zum nächsten Monatsbrief. Viel Spaß beim Lesen!