NYC Marathon

THE Day. NYC Marathon, 6. November 2011

Warum die Nacht vor dem Marathon besonders teuer war und wieso der Lauf auf einer Insel startet. Weshalb ich in einem „Fanggehege für wilde Tiere“ auf meinen Start warte und wie es fast wie im Rausch durch die Menschenmengen der Stadtteile geht. Und was für ein unglaubliches Gefühl es ist, am Ende durch einen Metallkasten zu laufen.

Getting to the starting line is the biggest hustle
Es beginnt mit einer Besonderheit: Start des Marathons ist auf Staten Island (also einer INSEL). Heißt: Bis sieben Uhr muss man im Privatfahrzeug über die Verrazzano-Narrows-Bridge drüber sein, sonst bleibt nur der Weg übers Wasser („The Verrazano-Narrows Bridge will close to all traffic promptly at 7 a.m.“ – official handbook)! Die Teambusse haben etwas mehr Zeit zum Passieren, aber um 8.30 Uhr heißt es „Go!“ für die „wheel chair division“.

 

4.30 Uhr
Mein Wecker klingelt. Endlich mal wieder gut geschlafen. Aber die Nacht war ja auch teuer genug: 491 Dollar! Und das war kein Luxushotel, sondern einfach NYC. Ich fühle mich besser als an den Tagen davor und bin froh, dass es losgeht. Essen, trinken, anziehen und los …

 

5.30 Uhr
Die Temperatur ist sehr angenehm (für alle Fälle habe ich aber eine Wärmflasche dabei). Es ist noch dunkel, zu Fuß geht es zum Treffpunkt (65 West, 54th Street), wo der Teambus wartet. Gestern Abend war hier noch die Hölle los: Es war laut, grell, Geblinke, Gehupe, Taxen, Leute. Und jetzt ist alles friedlich, gedämpfte Geräusche, fast schon still – und das mitten in Manhattan. Man sieht nur wenige Autos, dafür aber an einigen Ecken die geparkten Busse mit der „Marathon“-Anzeige. So ziemlich alle Gestalten, die im Moment zu Fuß in den highrise-Schluchten unterwegs sind, sind Marathonläufer/innen (eindeutig zu erkennen an dem durchsichtigen Gepäckbeutel der NYRR, den man vor dem Start abgeben kann), viele mit dem obligatorischen „cup to go“, einige haben Bademäntel über ihren Laufklamotten, einige Frauen tragen viel zu große Männerpullover (alles Wegwerf-Klamotten), alle wirken gut gelaunt, man wünscht sich im Vorübergehen „Good luck“ oder „The best of luck“. Eine will meinen Nachnamen wissen – warum? „I´ll look you up in the NY Times (da stehen die Namen von allen, die unter fünf Stunden laufen, drin). Aha, okay. Was hier gerade passiert (spontane „Blitzfreundschaften“ für den Moment schließen), ist das, was die Leute wohl „buddy up“ nennen. It comes natural – ist also wirklich nicht aufgesetzt.

Am Treffpunkt warten viele vom Team, immer wieder sprechen mich Leute an, die sich für die Blumen am Mittwoch bedanken (ich hatte Blumen mit Glückwünschen für den Marathon verteilt) und noch mal wissen wollen „How was your birthday?“ Wir warten auf die Busse.

 

6 Uhr
Busse kommen an, rein in Bus No. 5, schön warm drinnen, mein Lieblingstrainer Sam ist da, ansonsten nur unbekannte Gesichter, kurze Gespräche mit den Sitznachbar/innen, viele „first-timer“. Was ist euer Motto? Alison: „Have fun“, Anders (aus Schweden): „Never stop going“, Omar: „Keep going“, Nasil: „I´m a machine. I don´t feel pain“ (das sagt er echt ganz ernst). Ich schließe mich Alison und Omar an: „Have fun and keep going“ – klingt auf jeden Fall gut.

 

6.30 Uhr
Endlich geht`s los mit dem Bus in Richtung Verrazano-Narrows-Bridge. Ziel: Fort Wadsworth auf Staten Island. Mittlerweile dämmert es mächtig, der Himmel leuchtet hell, wir fahren im Konvoi mit den anderen Bussen. Der Verkehr ist schon dichter, ich sehe einige Weihnachtsbäume (die ersten in diesem Jahr für mich), aber wir haben einen „first class transport“ (wie Sam meint): mit NYPD-Eskorte (Autos und Motorräder), überall wildes rot-blaues Geblinke, es geht für uns über rote Ampeln, alle anderen müssen warten, zwischendurch stecken wir in Manhattan fest, dann läuft es besser. Weg frei! Wir müssen schließlich pünktlich über die Brücke, bevor sie geschlossen wird!

Einige schlafen, einige gucken raus, einige lesen die NY Times, einige trinken Kokoswasser, dann gibt es letzte Tipps vom Trainer:„Restrain yourself the first two miles, don`t pass anybody.“ An alle Erstlinge: die ersten zehn Meilen bloß nicht zu schnell laufen – ja, ja, das haben wir jetzt schon hundertmal gehört…. Und mit „Tutti Frutti“ im Ohr (Sams Lieblingslied – er singt vorne mit und man sieht die blendend weißen Zähne im fröhlichen schwarzen Gesicht) geht es über die Verrazano-Narrows-Bridge, jetzt ist es richtig hell, kein Wölkchen am Himmel, und dann sind wir auch schon da. „See you at mile 22 – by that time you will be in pain, but you will finish“ (letzte Worte des Trainers). Und raus geht’s …

 

7.40 Uhr
Ankunft in Fort Wadsworth. Alle, die heute hier loslaufen, müssen in dieses Camp. Es ist in drei Abschnitte geteilt: gelbes, grünes und blaues Lager – entsprechend der drei Startpositionen. Gewimmel, super viele Busse, noch mehr Leute, wohin? Einfach den Leuten nach, Lautsprecherdurchsagen in mindestens fünf Sprachen, Anweisungen bezüglich Security Check, durchsichtiger Beutel (alles, was man im Camp abgibt, muss sichtbar sein), was man darf und was nicht. O-Ton einer Durchsage auf Deutsch: „Benutzen Sie die Brücke nicht als Toilette – Sie können disqualifiziert werden“ (klare Ansage, in den letzten Jahren haben sich wohl viele vor dem Start noch einmal auf der Brücke erleichtert. Und die Armen erst, die im unteren Stockwerk der Brücke standen). Am Eingang heißt es: „How are you feeling?“ und dann „Show your number“ (also Pullover hoch), danach den Beutel vorlegen, super lasche Kontrolle (bin überrascht, da hätte ich etwas mitschmuggeln können), die gucken nur so drüber. Und dann bin ich auch schon drin im „Fort Wadsworth“:

 

7.50 Uhr
Totales Gewusel (wo kommen auf einmal so viele Leute her?), man hört viele Sprachen, vor allem Italienisch und Spanisch fallen mir auf. Viele liegen in Schlafsäcken (obwohl offiziell „sleeping bags are discouraged“) eingerollt auf dem Boden und schlafen (Himmel, wie können die schlafen, hier gibt es doch jede Menge zu gucken?) – Zelte, Kühltaschen, Koffer und natürlich die bösen Glasflaschen durfte man nicht mitbringen.

Es ist eine ganz verrückte Atmosphäre: Ein Mischung zwischen einem internationalen Pfadfindertreffen auf einem gigantischen Zeltplatz, Occupy Wallstreet und internationalem Sportfest. Es gibt kostenlos Bagels, Gatorade und Kaffee (ca. 583 Pfund Kaffee). Fast alle essen und trinken, cremen sich mit Sonnencreme ein oder stehen vor den unzähligen Dixi-Klos an (es sollen 1.700 sein). Wer will, kann sogar noch zur christlichen oder jüdischen Zeremonie gehen, man sieht super viele Dunkin’ Donuts orange-rosa Mützen, in unserem Team for Kids-Zelt ist es schön warm, viele lassen sich von anderen noch ihren Namen mit dickem Edding auf ihr T-Shirt schreiben (dann können die anderen nachher besser anfeuern).

Endlich sehe ich bekannte Gesichter vom Training, viele hocken auf Plastiktüten auf dem Boden (was soll man auch herumstehen, der Weg ist ja noch lang). 80 Minuten vorher muss ich meine Plastiktüte abgeben, die ich dann in ein paar Stunden am Central Park wieder abholen kann (was da nicht drin ist, muss ich mitschleppen oder unterwegs wegwerfen). Danach Warten auf den Start um 10.40 Uhr (ich bin in der letzten Staffel, 3rd wave).

Wir sind von allen Seiten eingeschworen worden: Der Marathon ist unvergleichbar, Tipps für Erstlinge:

  • Enjoy the high buildings, the people, the smells, the music,
  • Schön in der Mitte laufen
  • Nicht zu schnell anfangen, eigenes Tempo laufen
  • Und ganz wichtig: Concentrate on yourself …

… bin mal gespannt, ob ich das hinbekomme.

 

Start Timeline
47.000 Leute (aus 118 Ländern) können nicht alle auf einmal starten! Es gibt sechs verschiedene Startzeiten, und für die ersten acht Meilen (knapp 13 Kilometer) gibt es drei verschiedene Streckenführungen (orange, blau, grün). Der jüngste Teilnehmer ist gerade mal 18 Jahre, die älteste Läuferin 84 Jahre alt.

8.30 Uhr
Start der Rollstuhlfahrer/innen (Sieger: 1:31 Stunden).

8.55 Uhr
Start der Handbiker (die mit den Händen Pedale bewegen – Sieger 1:13 Stunden) und anderer gehandicapter Athletinnen und Athleten.

 

9.10 Uhr
Start der Profi-Frauen.

 

9.40 Uhr
Start der Profi-Männer, sub-elite, local competitives, „Wave Start 1”. Ich sehe vom Fort aus den Start der ersten wave mit den Profi-Männern – höre die Kanonen knallen, danach sieht man, wie sich eine bunte, bewegte Welle über die Brücke ergießt, die für einige Minuten anhält (die Bilder kennen doch alle aus dem Fernsehen), dann ist die Brücke leer, es ist wieder Ruhe, und man weiß, dass die Leute jetzt auf dem Weg sind (auch einige aus dem Team). Für uns heißt es aber weiter: warten.

 

9.55 Uhr
Ich muss ins „corrals“. Das heißt übersetzt: „Fanggehege für wilde Tiere“ 🙂 . Hier sind es hintereinander liegende, eingezäunte Bereiche, auf die die Läufer/innen anteilig aufgeteilt werden (dann gibt es nicht so eine Drängelei vor dem Lauf, wenn 5.000 Leute an eine Startlinie wollen).

10.10 Uhr
Die zweite wave läuft los. Wir hören aber nur die Kanonen und sind dann alleine übrig (immer noch genug Leute). Wir sind die Nachhut (so um die 15.000 Leute) und laufen hinterher.

10.15 Uhr.
Unsere corrals werden geschlossen. Wer jetzt nicht da ist, verpasst diesen Marathon (wir sind die letzte Runde). Es gibt große Diskussionen an einer Stelle (wohl zu lange beim Kaffee angestanden) – die Aufpasser/innen sind echt strikt. Die meiste Zeit verbringe ich mit „lining up“ vor den Dixi-Klos und als ich endlich im Toilettenhäuschen sitze, höre ich eine Stampede an mir vorbeiziehen – super, sie haben die corrals innen geöffnet (also die Abtrennungen dazwischen) und alle, die eben noch hinter mir waren, ziehen nach vorne bis zur Startlinie vor. Als ich rauskomme, bin ich wirklich fast ganz hinten 🙁 .

Mein Nachbar aus Italien hat sich eine Kamera auf die Brust geschnallt (clever!). Eine andere Läuferin ist voll geschminkt – wird wohl wasserfest sein. Dafür scheint aber die Sonne schön warm, und es ist wirklich nicht mehr kalt. Das Camp, in dem eben noch betriebsame Geschäftigkeit herrschte, ist nun komplett leer. Alle treten von einem Fuß auf den anderen und warten, dass es endlich losgeht. Neben uns stehen die Busse in einer Reihe, die die verschiedenen Anfangsgruppen voneinander trennen. Auf uns warten: 130 Musikgruppen, geschätzte zwei Millionen Besucher/innen, 12.000 Helfer/innen (die jede Meile Wasser und Gatorade verteilen, insgesamt über 90.000 Wasserflaschen).

 

10.40 Uhr
„Wave Start 3“ – da bin ich drin! Und außerdem die, die keine oder nur eine langsame Zeit aus offiziellen Rennen bei der Anmeldung vorweisen konnten.

Wie weit bin ich schon?
Jede Meile und alle fünf Kilometer gibt es Anzeigetafeln.
Damit niemand schummelt, gibt es „timing mats“, über die man laufen muss und die alle Läufer/innen elektronisch erfassen. Außerdem Video-Checkpoints.

Was gibt es entlang der Route?
Jede Meile Wasser und Gatorade (ab Meile 3), Toiletten, medizinische Hilfe.

Wie viel Zeit habe ich?
Nach sechseinhalb Stunden kommen die „sweep busses“, dann werden die Straßen wieder für den Verkehr geöffnet. Bis sieben Uhr kann man noch durchs Ziel laufen (also das sollte nun wirklich klappen!).

Wie schnell laufe ich? – die 10-10-10-Regel
Ankommen ist alles – Mantra für first-timers.
Als grobe Richtlinie für alle Fälle – den Marathon in drei Teile teilen: (negative splitting) 10-10-10-Regel:

  • Die ersten 10 Meilen (16 Kilometer): steady, controlling, hold back, like a training run, not battling – in Kurzform: gemütlich, nicht zu schnell.
  • Die zweiten 10 Meilen: Don´t fight yourself, increase it gradually, faster – in Kurzform: im Tempo anziehen, aber sich nicht total verausgaben.
  • Die letzten 10 Kilometer (ja, jetzt in Kilometern!): survival, run with all your heart, running as hard as you can, enjoy and embrace it – in Kurzform: alles geben und um sein Leben rennen!

Na bitte, passt doch genau auf die Phasen beim Kinderkriegen 🙂

 

Staten Island und Verrazano-Narrows-Bridge (Mile 1-2 / Kilometer 1-3)

10.40 Uhr

 

Es geht los … fast. Zuerst wird gesungen („God bless America“) und dann kommt eine Ansage: „Ladies and Gentlemen, the streets of NYC await you … Are you ready to run?“ Wildes Geschrei als Antwort, Kanonenschuss und Frank Sinatras „New York, New York“ kommt über die Lautsprecher. Antiklimax: Zuerst mal tut sich gar nichts für mich (bin weit hinten), dann kommen wir langsam ans Gehen und sechs Minuten nach Startschuss passieren wir im leichten Trab die Startlinie. Jetzt sind wir auch im Rennen … ENDLICH!

„New York, New York“ – der Song begleitet uns auf die Brücke, nur die Rotoren der Hubschrauber stören doch sehr beim Zuhören.

Super, super voll, ich kann kaum laufen, eher langsamstes Traben, und man hört nur das Getrampel der Leute, der Boden vibriert ganz schön, keine Zuschauer/innen für die ersten zwei Meilen. Echt anstrengend, es ist wie Autofahren in zähfließendem Verkehr – Stop-and-go, man muss höllisch aufpassen, niemanden anzurempeln, es kostet Zeit und Kraft.

Ich laufe auf der „Schokoladenseite“ der Brücke (oben, auf der Manhattan zugewandten Seite), unglaublicher Blick in den „New York Harbour“ mit der Freiheitstatue, viele halten an, klettern auf die Geländer und machen Fotos vom „sweeping view of the statue of liberty“ – eigentlich sollte man den Ausblick genießen und hier ein Picknick machen …

  1. Hälfte der Brücke: super voll mit Leuten (es geht bergauf)
  2. Hälfte der Brücke: voll mit weggeworfenen Klamotten (es geht bergab)

Die ersten fünf Kilometer sind meine langsamsten im ganzen Rennen: 30:40 Minuten und das lag definitiv nicht an der langen Steigung am Anfang.

 

Brooklyn (Mile 2-13 / Kilometer 3-21)

 

Brooklyn ist der Hammer – totaler Informationsoverflow, wirkt familiär, enger Straßenzug, viele Kinder, die Leute schreien sich die Kehle aus dem Leib: „Looking good“, „Keep it up“, ich höre erste „Britta“-Rufe (steht ja dick und fett auf meinem Shirt), einige Leute haben Poster aus den Fenstern im ersten und zweiten Stock hängen, viele tragen Plakate mit Aufschriften wie

  • Go … go
  • 26,3 Miles would be crazy
  • You can do it!
  • Today you are all stars!
  • Run like you stole something!
  • You kick ass … (das Wort „ass“ ist hier komischerweise im Zusammenhang mit einer Herausforderung gesellschaftsfähig und lange nicht so schlimm, wie „shit“ zu sagen)

Es gibt das schöne Wort „frenzy“ im Englischen – was so viel heißt wie „Rausch, Taumel, Wahnsinn“ – ja, die Leute sind wirklich ekstatisch.
Für mich ist es sehr schwer, meinen Rhythmus zu finden, überall sind Leute, es kostet viel Kraft, um die Leute herumzusteuern, irgendwie möchte ich eigentlich doch schneller als meine Vorderleute und so muss ich um viele herumlaufen. Immer wieder abchecken, ob man links oder vielleicht rechts überholen kann und manchmal hat man auch eine geschlossene Wand vor sich und muss warten, bis sich eine Lücke auftut (da würde es wirklich helfen, wenn man vorneweg läuft). Ich scheine genau in der Mitte der dritten Welle zu stecken.

Das Problem mit dem Überholen scheinen auch andere zu haben: Ein Franzose rempelt mich rücksichtslos von hinten an und rammt mir seinen Ellbogen in die Seite (nein, nein, nicht wirklich nett).

Laut, laut, laut
Die Lautstärke haut mich um: das Geschrei der Leute, dazu die Musikbands, die mal rechts, mal links auf dem Bürgersteig dazukommen – es ist so, als ob man ein super lautes Radio neben dem Ohr hat, wo jemand ständig andere Sender reindreht und man immer mehrere Lieder gleichzeitig hört. Nie bleibt die Lautstärke gleich, das eine wird lauter, das andere wird leiser (man hat ja nie Zeit, ein Lied komplett zu hören). Ab und zu wird dieses „Radio“, was eh schon auf „Maximum“ steht, noch dreimal lauter gedreht, da schreckt man dann echt zusammen: Wenn eine Läuferin oder ein Läufer gerade die Freunde/Familie entdeckt hat und beide Seiten gleichzeitig total loskreischen und in Jubel ausbrechen, stehenbleiben, direkt vor oder neben einem und dann wieder für eine Verwerfung im Feld sorgen …

Aber was soll’s, „enjoy and keep going“, also ruhig bleiben und entspannen, so gut es geht. Natürlich hole ich mir auch einige high fives von den Kindern ab, die am Straßenrand stehen und uns ihre Arme entgegenstrecken.
Eins steht fest: Beim Kinderkriegen hat man definitiv mehr Ruhe (weniger Zuschauer/innen und mehr Platz)! Der Tipp einiger Expert/innen für die ersten 10 Meilen (16 Kilometer): „It´s about controlling and holding back. Settle in, keep a steady and controlled pace – like a training run, no battling.“ Nein, also die Gefahr, zu schnell ins Rennen zu starten, bestand zu keinem Zeitpunkt. Der Tipp mit der „steady pace“, also einer gleichförmigen Geschwindigkeit, ließ sich aber auch nicht umsetzen.

Sunset Park
Während ich mich im Stadtteil „Sunset Park“ durch die Massen schiebe und die Engpässe an den Wasserstellen möglichst mittig passiere, spielen sich 35 Kilometer weiter vorne dramatische Szenen bei den weiblichen Profis ab. Eine der Läuferinnen hatte direkt von Anfang an einen Vorsprung von über zwei Minuten zu den restlichen Läuferinnen aufgebaut. Sie lief ein solches Tempo, dass die derzeitige Rekordhalterin in NYC, Paula Radcliffe, die zum Zugucken gekommen war, wohl schon unruhig wurde. Aber zwei Läuferinnen können den Abstand dann doch bis auf eine Minute verkürzen. In den verbleibenden fünf Kilometern kämpfen sie sich weiter ran und können sie tatsächlich auf der allerletzten Meile (!) im Central Park einholen. Firehiwot Dado aus Äthiopien geht nach 2:23 Stunden als erste ins Ziel, gefolgt von der in der Bronx lebenden Deba – die beiden sind übrigens Landsleute. Mary Keitany aus Kenia, die so lange die Führung gehalten hatte, wird Dritte.

 

Und auch bei den Profi-Männern ist bereits um 11:45 Uhr alles entschieden. Sieger ist Geoffrey Mutai aus Kenia, der mit einer Zeit von 2:05 Stunden einen neuen Streckenrekord aufstellt.

Für die Profis ist es nun vorbei – bei uns geht es weiter, noch über 32 Kilometer.

Bei Meile 8 (ca. 13 Kilometer) werden die drei getrennten Anfangsgruppen zusammengeführt, die Straße wird größer und mit der Heimeligkeit ist es vorbei. Es ist jetzt aber auch endlich mehr Platz da – gottseidank!

Orthodoxes Judenviertel Williamsburg (Mile 10-11 / Kilometer 16-18)

 

Endlich wird es ruhiger an den Seiten, bis auf einmal niemand mehr da ist, der sich für uns interessiert – also wirklich niemand?!? Verrückt, auf den Bürgersteigen gehen die orthodoxen jüdischen Menschen ihrem Alltag nach. Sonntag ist hier kein Feiertag! Der höchste Feiertag ist der Sabbat, der von Freitagabend bis Samstagabend dauert.

Die Männer, an ihrer traditionellen Kleidung (langer schwarzer Mantel, Schläfenlocken und schwarzer Filzhut) unschwer zu erkennen, gucken demonstrativ durch uns hindurch und ignorieren uns völlig. Die Frauen (mit Mädchengesichtern – sie heiraten alle sehr früh) gucken schon nicht mehr so ganz demonstrativ nicht hin. Aber die Kinder, die im Kinderwagen sitzen, und die, die nebenher stolpern, gucken interessiert und aufmerksam und wundern sich, was da heute bei ihnen auf der Straße los ist, diese Horden von Verrückten, die durch ihr Viertel laufen – Kinder, auf euch ist Verlass!!!

Das Ganze hat etwas Surreales – wie zwei Welten, die auf wundersame Weise nebeneinander „gebeamt“ wurden: halbnackte, bunte Läufer/innen und die dunkel gekleideten, komplett bedeckten jüdischen Leute.

Ich genieße die Ruhe (keine Band, kein Geschrei, nur Getrappel) und gucke mir die Menschen mal ganz in Ruhe an – zumindest besser, als sich als Touristin dahinzustellen und zu gucken.
Besonders willkommen sind wir hier nicht, aber Fred Lebow, selbst jüdisch und einer der Schlüsselfiguren in der Geschichte des NYC Marathons und maßgeblich an der Ausweitung auf die fünf Stadtteile beteiligt, hat mit der jüdischen Gemeinde verhandelt und nun herrscht Duldung.

Mittlerweile ist der zweite Abschnitt, sind die zweiten zehn Meilen angebrochen:

Tipp der Experten:

  • „Don´t fight yourself.
  • Increase your speed gradually,
  • Queensboro Bridge is significant – dig deep.“

Der zweite Teil durch Williamsburg North ist dann wieder komplett anders: viele junge Leute, Puerto Ricaner/innen, Italiener/innen, viele Cafés, insgesamt bunt. Auf einmal tut sich ein phänomenaler Blick auf die Skyline von Manhattan auf – Hammer!!!

HALBZEIT (Pulaski Bridge)

 

Queens (Mile 13-16 / Kilometer 20-25)

Auf der Pulaski Brücke haben wir schon die Hälfte hinter uns und es gibt endlich mal Ruhe. Die Brücke ist viel kürzer und nicht so steil, mir geht es gut, ich fühle mich fit, das Tempo war bisher ja eher ruhig, meine Zeit für die ersten 21 Kilometer: 2:05 Stunden (damit fast 20 Minuten langsamer als beim Philadelphia Halbmarathon).

Ich sehe mehrfach „Achilles-Führer/innen“ (unschwer an den grellen gelben T-Shirts zu erkennen) – sie laufen neben Läuferinnen und Läufern mit Behinderungen (z. B. Amputationen). Ein sehbehinderter Mann läuft mit zwei „guides“ rechts und links an den Händen, andere sind nur über einige Seile mit ihren Führenden verbunden, oft mit drei oder vier guides pro Person. Und weiter geht es rüber nach Queens …

 

Der nächste Abschnitt geht von der Pulaski Bridge bis zur Queensboro Bridge. Hier haben wir spektakuläre Blicke auf die Skyline von Manhattan, insbesondere auf das Empire State Building (klick, klick, mir fehlt die Kamera!). Zuerst im Zickzack durch weniger wohnliche Gebiete (muten an wie „Gewerbegebiete“), dann über die dritte Brücke: Queensboro Bridge (eine Meile lang). Ein Plakat am Fuß der Brücke soll uns anfeuern (wegen der Steigung): „Make this bridge your bitch“ (also, naja).

Die Steigung klappt gut, auf der Brücke gibt es keine Zuschauer/innen, nur ein paar Fotografen sehe ich. Ich genieße die Ruhe auf der Brücke, wo man nur das Getrappel der anderen Läufer/innen hört. Es tut gut, endlich mal mit den „fellow runners“ allein zu sein, und ich treffe eine Läuferin aus dem Team (die erste, die ich persönlich kenne). Wir reden kurz und ich überhole einen Läufer, der hinten drauf „artist at work“ stehen hat und tatsächlich beim Laufen auf einem Malbrett malt (wie verrückt ist das, bitte?). Endlich habe ich mal Zeit, meine Musik anzumachen und so geht es mit „It´s raining men“ für mich über die Brücke 🙂 .

 

Ich nehme hier zum ersten Mal Leute wahr, die am Rand stehen, sich an die Brüstung der Brücke lehnen und sich dehnen (die haben wohl Wadenkrämpfe). Unterwegs habe ich angefangen, die T-Shirts der Kolleginnen und Kollegen zu lesen – das lenkt auf der einen Seite ab (vom Laufen) und gibt einem auf der anderen Seite etwas zum Nachdenken und Verstehen:

Hier einige Beispiele der T-Shirt-Aufschriften:

  • Pain is weakness leaving the body (Marine Corps)
  • Off my bucket list: 26.2
  • 26.2 is my lucky number
  • Hell and Back – 26.2 Miles
  • Marathon – pain is temporary, pride is forever
  • I run to look good naked
  • Shut up and run
  • I´m running 26.2 miles because it was on my bucket list
  • Keep calm and marath on
  • Imagine a world without cancer
  • Diverse Bibelsprüche

Kurz bevor man wieder von der Brücke runterläuft, hört man ein tiefes, heiseres Getöse, das wie ein „roar“ von der 1st Avenue zu uns weht: Luftlinie sind wir gerade mal knappe zwei Kilometer von der Ziellinie entfernt – für uns sind es aber noch gut 16 Kilometer!

Manhattan, Part 1 (Miles 16-20 / Kilometer 26-31)

 

Zuerst die East Side Miles: Man läuft in einer Rechtskurve von der Brücke runter, und dann öffnet sich die Strecke. Das Krakeelen der Zuschauer wird dreidimensional, wir sind auf der 1st Avenue (also die East Side), die fast fünf Kilometer nach Norden führt. Rechts und links viele Hochhäuser; es fühlt sich an, als ob man in einer tiefen Schlucht läuft. Das typische NYC-Gefühl: Obwohl der Geräuschpegel überwältigend ist, gibt es Entspannung, weil endlich PLATZ da ist: zwischen den Läuferinnen und Läufern und zwischen den Zuschauer/innen.

Wunderschön anzusehen: das bunte Meer der Teilnehmer/innen vor mir, wir ergießen uns wie eine Welle in die ganze Länge der 1st Avenue. Und weil es hier rauf und runter geht, kann selbst ich das gut erkennen, sieht wirklich beeindruckend aus, diese bewegte, farbenfrohe Masse.

Das Anfeuern durch die Leute ist beeindruckend: „You´ll feel like a rock star.“ – so haben es uns die „alten Hasen“ vorher erzählt. Daher kommt auch die Warnung der Trainer/innen: „Don´t lose your energy! Keep your pace!“ Ich bin einfach froh, dass ich endlich mal freier laufen kann.

Dafür habe ich ganz andere Probleme: Auf einmal steht eine Frau mit Einkaufswagen vor mir und ich laufe fast auf sie drauf (wie die wohl hierhergekommen ist?). An den Wasserstellen lösen sich die Pappbecher langsam auf und auf dem Boden bildet sich aus Wasser und Bechern ein rutschiges Pappmaschee – da ist höchste Vorsicht beim Laufen geboten (nach 50 Metern wird es wieder besser). An den Gatorade-Stationen wird es nicht nur matschig, sondern auch extrem klebrig, so dass die Schritte schwerer fallen. Außerdem stelle ich fest, dass ich Gatorade hasse. Ich hatte aus Versehen die falsche Auftankstation angelaufen (Wasser und Gatorade liegen hintereinander) und mir meine kleinen Flaschen mit Gatorade aufgefüllt, aber es funktioniert nicht: Ich kriege nur mehr Durst davon, und ich HASSE es, dass die Finger so davon kleben. Also kippe ich bei der nächsten Wasserstation alles Gatorade aus und fülle Wasser rein, Hände abwaschen (während dieser fünf Sekunden laufen gefühlte 500 Leute an mir vorbei, die ich vorher mühsam überholt hatte – irgendwie stressig). Auch die gefühlt 1.000 leeren und rutschigen Power-Gel-Packungen bei Meile 18 überlebe ich ..

Kurz kommt mir der Gedanke, dass die anderen (also die Zuschauermenge) vielleicht mehr Spaß haben als die Läuferinnen und Läufer, weil alle um uns herum in bester Laune feiern und Party machen, aber ich keine Zeit habe mitzumachen, weil ich ja laufen muss (verquerer Gedanke, aber der kam mir da echt).

 

Was mich sehr beflügelt: Ich treffe Marc und die Jungs bei Meile 19 auf der 125. Straße, also kurz nach der 30-Kilometer-Marke (2:57 Stunden – ich habe aufgeholt!). Marc gibt mir eine 5-minute-warning (dank der „Enhanced Mobile Spectator App“ kann er genau sehen, wo ich bin), und dann sehe ich sie: die gigantischen Luftballons, die wir extra an den Kinderwagen gebunden haben! Alle sechs bekommen ein high five und davon beflügelt geht es auch schon weiter und ich laufe meine beste 5-Kilometer-Durchschnittszeit! Juchuuuh!

 

Danach wird es wieder ruhiger. Kleinere Häuser, zurückgesetzt von der Straße, kein „Canyon-Gefühl“ mehr. Es geht über die dritte Brücke, Willis Avenue Bridge, rüber in die Bronx. Auf der Brücke nehme ich das erste Mal wahr, dass viele andere zu Fuß gehen, und ich merke, dass ich mit der Steigung kämpfen muss und irgendwie ziemlich müde bin. Der Gedanke, dass wir uns weiter vom Ziel entfernen, hilft nicht gerade (die Ziellinie liegt im Süden und wir laufen gerade nach Norden).

The Bronx Part 1 (Mile 20 / Kilometer 32)

Mit der South Bronx Mile 20 (Kilometer 32) sind die letzten zehn Kilometer angebrochen – das ist eine kritische Zeit beim Lauf.

Der Tipp für ein „gutes Rennen“:

  • „The last 10k. Run with all your heart!
  • Run as hard as you can!
  • Finish strong!“

Tja, leichter gesagt, als getan. Aber es gab auch die Vorhersage: „By mile 20 you will be in pain“ und „You will hit the wall“ – alle Glykogen-Reserven in den Muskeln sind so langsam wirklich aufgebraucht und der Körper muss auf Fettverbrennung umstellen. Ich fühle mich schon müde, aber „gegen eine Wand“? Nein, so schlimm ist es (noch) nicht. Aber Gas geben und es genießen kann ich auch nicht mehr. Ab jetzt ist jeder weitere Kilometer eine Premiere für mich.

In der Bronx gibt es kaum Zuschauer/innen, man sucht nach Ablenkung: Ich erinnere mich an eine chinesische Band, die in einer Kurve in traditionellen Gewändern auf ihren großen „Trommeln“ musiziert. Einer hält ein Schild hoch: „You´re in the Bronx, keep running – it´s not safe here.“ In der Ferne sehe ich das Yankee Stadium (Baseball). Ab hier gibt´s Bananen als Snack und daher jede Menge Bananenschalen auf dem Boden – Halleluja! Dann geht es wieder zurück nach Manhattan, Part II.

Harlem (Mile 21–23 / Kilometer 34-36)

Endlich geht es wieder in die richtige Richtung, nach Süden zum Central Park auf der 5th Avenue!!! Es gibt wieder was zu gucken (hilft beim Ablenken): viele Zuschauer/innen, manche in Sonntagsklamotten, ein Gospelchor, viele Menschen mit dunkler Hautfarbe, in der Ferne tauchen die Hochhäuser von „Midtown“ auf. Aus dem „nowhere“ kommt mein Trainer Sam angeschossen und läuft ein Stück neben mir – er schreit mir ins Ohr: „You´ll go round the corner, drink some Gatorade, go to Central Park and get that medal.“ Und bevor ich was sagen kann, ist er auch schon wieder weg, zum nächsten TfK-Mitglied hinter mir.

Manhattan: Museum Mile (Mile 23 / Kilometer 37)

Nur noch sechs Kilometer bis zum Ziel! Wir laufen an diversen Museen entlang, hier gibt’s viele Bäume und Schatten, einige Leute hatten mich vorgewarnt: Die 5th Avenue ist richtig, richtig lang und will nicht enden – darauf hatte ich mich eingestellt. Und sie IST lang (und es geht bergauf). Und irgendwie geht die Energie langsam zu den Seiten weg …

Spätestens jetzt sollte man wohl das Tempo steigern, genau wie beim Kinderkriegen – man ist schon fast durch und muss sich am Ende noch mal richtig ins Zeug legen: „Run with all your heart, run as hard as you can, enjoy and embrace it.“ Dieser Tipp will mir nicht so recht gelingen. Langsam macht es keinen Spaß mehr, jetzt kommt der zweite Teil meines „Laufspruchs“ vom Anfang dran: „Just keep going“ – das ist ganz gut, denn dann hat man im Kopf was zu tun und braucht sich nur dran zu halten.

Reine Kopfsache
Mir geht ein Licht auf: Beim Kinderkriegen ist die Devise: Kopf abschalten, auf den Körper horchen und einfach mitmachen. Beim Marathon ist es ziemlich genau umgekehrt: Der Kopf muss die Führung übernehmen, denn die müden Muskeln und der schmerzende Körper wollen nur eins: sofort stehenbleiben. Daher ist jeder weitere Schritt reine Kopfsache. Auf einmal schreit einer aus der Masse laut: „Britta, keep it up! I saw you in Brooklyn“ – das baut auf, also weiter …

Central Park (Mile 24-26 / Kilometer 38-42)

 

Jetzt geht’s endlich in den Central Park, wo ich schon so oft im Training gelaufen bin – der Weg wird schmaler und im Gegensatz zur dicken Straße wieder sehr persönlich, ganz andere Stimmung, eher wie „Sonntagnachmittag im herbstlichen Park“.
Ich sehe die Zuschauerinnen und Zuschauer kaum noch, aber an einem Schild bleibe ich hängen, handgeschrieben, brauche etwas Zeit zum Entziffern: „Amber, will you marry me?“ Das Plakat wird von einem Mann gehalten – sehr originell! Aber ich bin mir nicht sicher, wie ich das nach 40 Kilometern verkraften würde …

Ich bin platt, will ankommen, die letzten 2.000 Meter dauern ewig, an Sprint ist nicht zu denken, linke Schulter total verspannt (wüsste ich‘s nicht besser, würde ich denken, dass sich so die ersten Anzeichen für einen Herzinfarkt anfühlen), zwei Zehen tun sauweh – ja, jetzt weiß ich, was sie meinen, wenn sie sagen: „You will be hurting.“ Der Spaß ist komplett weg – das muss sie sein, die Mauer, von der so viele sprechen …

Große Gemeinheit: Gefühlte 50 Prozent der anderen Läuferinnen und Läufer laufen nicht mehr, sondern gehen, und man muss drumherum kurven. Es ist unvorstellbar verlockend, einfach auch dem drängenden Wunsch des Körpers nachzugeben, mit dem Laufen aufzuhören und zu gehen, irgendwie ist das Paradies auf Erden so greifbar (das ist beim Kinderkriegen definitiv anders – da kann man nicht einfach aussteigen in dieser Phase) – „keep going, keep going, keep going“, ich passiere die 40-Kilometer-Marke nach 4:02 Stunden.

 

Die letzten zwei Kilometer werden dann noch schlimmer und so richtig eklig. Ich muss unmittelbar vor dem Ende noch eine kleine Ess- und Trinkpause einlegen, da ich vor lauter Tohuwabohu zu wenig gegessen hatte (jedenfalls waren die Power-Gummibärchen-Vorräte in meiner Tasche lange nicht aufgebraucht). Ich verfluche wirklich, dass die originale Länge von 40 Kilometern bei den olympischen Spielen 1908 in London um knapp zwei Kilometer verlängert worden ist – sch… Windsor Palace.

Für die letzten zwei Kilometer brauche ich sage und schreibe 15 Minuten (super lahm!), aber mehr ist nicht drin (meine Durchschnittszeit für die ersten fünf Kilometer war noch langsamer, wohl aus anderen Gründen 😉 .

 

ENDLICH!

Nach 4:17 Stunden laufe ich durch den Metallkasten, Foto (click), und bin endlich da.
GOTT SEI DANK!

Stoppuhr abstellen:

  • 04:17:40 Stunden
  • Strecke: 43,3 Kilometer
  • Kalorien: 2.493
  • mittlere Geschwindigkeit: 5:56 Minuten/Kilometer
  • maximale Geschwindigkeit: 4:32 Minuten/Kilometer
  • Höhenmeter: 384

Aber es geht weiter
Niemand darf stehenbleiben, wir werden „weitergetrieben“. Die Helfer/innen schreien immer wieder „keep walking“ (ich muss zugeben, ein ätzender Job, würde ich nicht machen wollen) – Pause machen ist jetzt noch nicht erlaubt. Alle „Finisher“ wandern und humpeln von hohen Sicherheitszäunen eingepfercht in einem recht engen Gang dicht an dicht, einigen geht es nicht gut, eine Frau übergibt sich, und wir sind ein bisschen wie Kühe (so komme ich mir jedenfalls vor), die in einem Gatter für die nächsten 1,6 Kilometer bis zum Ausgang getrieben werden. Wer jetzt wirklich nicht mehr kann, hat eigentlich nur eine einzige Alternative: zusammenklappen, sprich: ohnmächtig werden (dann kommen die Sanitäter/innen), ansonsten weiter, weiter …

 

Wir bekommen eine Wärmeschutzfolie, ein after-race-packet (Wasser, Gatorade (brrrrr 🙁 ), Nüsse, Powerriegel, Apfel, Brezeln). Ich nehme mir eine Medaille vom Arm einer Freiwilligen (wenig feierlich, aber dafür ist die Medaille golden und schwer). Schade, dass ich niemanden hier kenne. Dann noch meine Tasche abholen und im TfK-Zelt umziehen. Die anderen Läufer/innen müssen noch viel weiter marschieren – bis zur 85. Straße.

 

Reunion mit Kids und Marc
Die Straßen sind voll mit Leuten, viele Läufer/innen noch in Laufklamotten. Ich treffe Marc und die Kids in einem Restaurant neben dem Central Park. Aber als wäre nichts gewesen, sind die Kids beschäftigt: Theo (9) liest weiter in seinem Harry Potter, Ole (6) streitet mit Paul (4) über das Essen. Aber immerhin: Tim (7), Marc und Vitoria gratulieren mir, das Essen tut gut. Dann geht es mit der Subway (meine Medaille gilt heute als Fahrkarte, wir kommen alle umsonst in die U-Bahn, im Waggon sind noch anderen Läufer/innen, man grinst sich an) zum PATH (einer anderen U-Bahn) rüber nach Jersey City, wo unser Auto parkt. Den reservierten Tisch für heute Abend sagen wir ab (wir sind zu spät dran).

 

Um 20.30 Uhr falle ich ins Bett und bin sofort weg – schon fast schade, denn heute hätte ich ja wirklich mal so richtig reinhauen können … 🙂

 

DANKESCHÖN
Mein Marathon in New York City ist jetzt schon einige Tage her, und ich möchte mich noch einmal ganz, ganz herzlich bedanken für die guten Wünsche, euer Interesse und die Spenden für das Team for Kids, mit dem ich gelaufen bin.

Wir, ihr und ich, haben es geschafft – wir haben tatsächlich über 100 Kids zum Laufen gebracht, eine große Freude zu meinem 40. Geburtstag. Dank eurer Spenden nehmen „unsere“ 120 Kinder schon seit Beginn des Schuljahres jede Woche, einige sogar jeden Tag, an den Fitnessprogrammen in NYC und anderen Städten teil – Kids, die vorher noch keinen aktiven Lebensstil kennengelernt haben (über 240 glückliche Beine 🙂 ).

Ich danke auch denen, die mir die Daumen gehalten haben und mich z. T. sogar während des Laufs online angefeuert haben.

Insgesamt sind es übrigens wieder über 100.000 Kinder, die durch das Team for Kids gesponsert werden. Ich habe mich bei der Organisation jetzt als ehrenamtliche Helferin beworben – so kann ich weiterhin einen Beitrag leisten, einige Kinder auch persönlich kennenlernen und gucken, wie sie sich so machen.

Montag, 7.11.: „35,399 who broke five hours.”
Beim dritten Anlauf finde ich dann doch noch eine einzige New York Times: Und ich stehe tatsächlich drin 🙂 , an 21.215 Stelle (immerhin! von 47.180 „Finishern“). Und von den über 17.000 Frauen bin ich gerade noch im ersten Drittel (Platz 5.500) – ist doch gar nicht so schlecht! Übrigens sind noch zwei andere Personen auf die Sekunde genauso schnell gewesen wie ich, und mehrere Hundert Leute hatten ebenso wie ich die Zeit 4:17 Stunden.

 

Dienstag, 8.11.: Post Race Stretch
Wir treffen uns noch ein letztes Mal mit dem Team im Central Park an unserem Treffpunkt zu einem „Post Race Stretch“. Das ist ziemlich äquivalent zum „Baby-Nachtreffen“ eines Geburtsvorbereitungs-Kurses – jetzt müssen alle erzählen, wie es so gelaufen ist (Geburt/Marathon), und man zeigt stolz sein Ergebnis (Baby/Medaille mit erlaufener Zeit) 🙂 . Es ist verrückt, die anderen zum ersten Mal in normalen Klamotten zu sehen – bei einigen muss ich zweimal hinsehen (mit Brille, viele geschminkt und eben mal nicht verschwitzt), da ist man sich direkt wieder fremder (Laufklamotten verbinden).

Das Feedback ist total verschieden: Einige sind richtig unzufrieden (wegen Krämpfen, so schlimm, dass sie nicht mehr weiterlaufen konnten), vielen hat´s Spaß gemacht, aber ich bin nicht allein mit der Frage, ob das Ganze so gesund sein kann. Meine Lauffreundin Gigi lacht mich aus, als sie meine Zeit hört („What happened?”). Sie war clever genug, sich vor dem Startschuss ganz nach vorne zu mogeln und ist unter vier Stunden gelaufen – Hut ab, das ist echt schnell! Ein anderer Mann taumelt glückselig mit seiner Medaille um den Hals herum, küsst sie immer wieder (hat Gewicht verloren): „It changed my whole life“ – ein zukünftiger Trainer? Unser Australier kommentiert dagegen trocken: „It was nice, but not again, too much commitment.“

Nach dem Dehnen gehen wir zum gemütlichen Teil in einer Bar über: Viele gehen rückwärts die Treppen in die Bar runter (beim Kinderkriegen ist es eher das Sitzen, das am Anfang etwas schwerfällt), ein Trainer fragt uns: „And, were you bitten by the Marathon Bug?“ Na ja, es hat super Spaß gemacht, vor allem das Training. Aber ich kann nicht sagen, dass mich das Marathonfieber gepackt hat. Der Tipp einer Trainerin: Damit niemand in das lauernde „Post-Marathon-Loch“ fällt, sollte man sich direkt für das nächste Rennen anmelden. Ich werde ganz gemütlich in ein paar Tagen den „Turkey Trot“ in Morristown an Thanksgiving laufen. Außerdem werde ich versuchen, auch einmal als „NYRR-Volunteer“ bei einem Lauf mitzumachen, also einige der Kinder bei einem Rennen zu betreuen, die von dem gesammelten Geld profitieren.

 

Special: Der NYC Marathon 2011 „by the number“

Der legendäre Lauf

 

Special: Mein ganz persönliches Sommermärchen

Mein NYC-Marathon-Sommermärchen

Warum die Vorbereitung für den Marathon ein bisschen wie das Kinderkriegen ist. Wie sehr ich die grüne und unglaublich lebendige Oase Central Park im Großstadtdschungel genieße. Und wie es kommt, dass die Leute mich oft für eine Einheimische gehalten haben.

 

Special: Spaß als Irish Race Buddy