Schwimmen lernen

Wie wir uns langsam etwas sicherer durch den amerikanischen „Alltagsjungle“ bewegen und was man tun muss, um in New Jersey zu Fuß über die Straße zu kommen. Vom Schlange stehen und warum parking officer Kreide an unsere Autoreifen malen. Und davon, wie wir uns wundern, dass wir unsere Kinder nur mit Unterschrift von der Schule abholen dürfen.

 

Day by day: Unsere täglichen Übungen
Es tut gut, dass langsam etwas mehr Routine einkehrt. Hier ein kleiner Einblick, was während eines normalen Tages bei uns so ansteht und wie wir uns langsam etwas sicherer durch den amerikanischen „Alltagsjungle“ bewegen. Direkt nach dem Frühstück (mit getoastetem amerikanischen Labberbrot oder Haferflocken mit Kakao) geht’s los:

8:15 Uhr
Die erste Frage des Tages: durch die Garage oder die Haustür?
Wie viele amerikanische Häuser hat auch unseres die Garage direkt angebaut. So brauchen wir nur durch eine Küchentür zu gehen und können in die Autos einsteigen. Praktisch, besonders bei schlechtem Wetter. Die meisten unserer Nachbarsfamilien verlassen daher das Haus über die Garage, weil sie ja eh so gut wie immer mit dem Wagen fahren.
Wenn man zu Fuß unterwegs ist, hat man die Wahl: Nehme ich die echte Haustür oder doch die Hintertür? Ich habe den Eindruck, dass die Haustür eher ein Schmuckstück für Gäste ist, der ganz normale Laufweg für die meisten dagegen die Abkürzung durch die Garage. Mein Gitarrenlehrer war etwas amüsiert, als ich beim ersten Mal bei ihm vor der Haustür stand. Er sagte, ich solle doch bitte demnächst durch die Garage, ohne Klingeln, einfach so rein kommen. Die Tür sei nie abgeschlossen. Okay …

Eins muss ich zugeben: Im Winter war es ohne Frage wirklich praktisch, trockenen Fußes ins Auto bzw. ins Haus zu kommen und die Einkäufe direkt in der Küche abzuladen. Aber jetzt im Sommer bin ich ein bisschen „trotzig“ – und wir gehen zur Haustür rein und raus. Es fühlt sich einfach besser und fairer an, das Haus von vorne zu betreten bzw. zu verlassen und nicht durch die Hintertür direkt in der Küche zu stehen (finde ich jedenfalls).

 

Wie komme ich in New Jersey zu Fuß über die Straße?
Während ich in Deutschland den Spruch „links – rechts – links“ Dutzende Male am Tag gesagt habe, komme ich hier gerade mal auf dreimal: Die einzige Straße, die Theo (7) und Tim (6) an einem Tag überqueren, liegt auf dem Weg zu ihrem bus stop: unsere Carton Road. Ohne parkende Autos, breit und übersichtlich und kaum befahren. Und das war’s dann auch schon für die beiden. Für Ole (4) und Paul (3) gibt es noch eine kleine Straße auf dem Parkplatz zum Kindergarten.

Leute zu Fuß haben fast überall „eingebaute Vorfahrt“ (stop for pedestrians) – Autofahrer/innen aufgepasst! Es gibt jede Menge Zebrastreifen, für die die gleichen Regeln gelten wie in Deutschland. Aber dann sind da noch die sogenannten „unmarked crosswalks“ an jeder Straßenkreuzung mit Bürgersteigen (also „nicht-gekennzeichnete Zebrastreifen“ – sprich normaler Straßenbelag), und da haben überquerende Fußgänger/innen ebenfalls Vorrecht, auch wenn man als Autofahrer/in auf der Vorfahrtsstraße ist und nicht abbiegt. Wenn es Ampeln gibt, muss man natürlich auf Rot und Grün achten.

Sobald man einen blinkenden Schulbus stehen sieht, müssen alle, die im Auto unterwegs sind, auf beiden Fahrbahnseiten anhalten, bis alle Kinder die Straße überquert haben und die Blinklichter aus sind – auch die Kinder aus der middle school spazieren in aller Seelenruhe über die Straßen, ohne auch nur einen einzigen Blick nach links und rechts zu riskieren. Und wenn ein „ice cream truck“ sein Stopp-Schild rausklappt, muss man ebenfalls anhalten und alle Leute, die zu Fuß über die Straße wollen, hinüberspazieren lassen und darf dann erst ganz langsam vorbeifahren. (Meine Führerscheinprüfung hier soll doch nicht umsonst sein – so habt ihr auch etwas davon 😉 ).

 

Lange Rede, kurzer Sinn: Unsere Kinder können nicht mehr ordentlich über die Straße gehen, weil sie einfach fast immer gehen dürfen. Wenn wir zurück in Deutschland sind, müssen wir das erst mal wieder richtig üben …

„Everybody line up!“
Wenn wir auch nicht mehr anständig über die Straße kommen, so üben wir uns alle dafür mehrfach täglich in einer anderen, in Deutschland ziemlich unbekannten Disziplin: dem gesitteten Anstellen. Ob beim Einsteigen in den Schulbus, beim Bewegen in Schul- oder Kindergartengebäuden, beim Wassertrinken an den „water fountains“ im YMCA, beim Einkaufen oder Abholen der Kinder: „Hinten anstellen“ oder „line up, please“ ist das Motto. Die Amerikaner/innen machen dies mit beeindruckender Disziplin, großer Gelassenheit und absoluter Konsequenz – kein schnelles Vorbeihuschen, kein „Dazustellen“ bei der Freundin, die weiter vorne ist – ab zwei Leuten wird brav angestellt. Es scheint wirklich ein Reflex der Amerikaner zu sein, eine Reihe zu formen und sich hinten anzustellen.

Das lernen die Leute hier schon von Kindesbeinen an und selbst die Kleinsten werden, sobald sie mit dickem Windelpopo auf ihren noch wackeligen Beinchen laufen können, von ihren Müttern sofort zurückgepfiffen, wenn sie beim Abholen ihrer Geschwister die Warteschlage „überholen“: „No cutting lines, sweetie.“ Manchmal habe ich sogar das Gefühl, dass die Leute hier per se die (längste) Schlange wählen (in Museen oder beim Autofahren), ohne zu gucken, ob die Schlange denn wirklich dahin führt, wo sie hinwollen – irgendwie fühlen sie sich da wohl sicher.

 

Aber im Ernst – diese Disziplin macht die vielen alltäglichen Übungen sehr angenehm. Meine ganz frische Erfahrung beim AIDS-Walk: Wir waren mit 45.000 Leuten auf einem Platz versammelt und wurden auf zwei wirklich schmale Wege (zweieinhalb Meter breit) in den Zentralpark geleitet. Und? Alle warteten geduldig, bis sich die Leute bewegten, die vor ihnen standen – Wahnsinn! Keine Spur von Gedränge! Es ist also kein Wunder, dass wir Deutschen – u. a. wohl auch durch unser „rüpelhaftes“ Verhalten in diesem Bereich – hier als „rude“ verschrien sind. Da können wir wirklich noch viel dazulernen.

Türen aufhalten gehört hier übrigens auch zum ganz normalen Standard-Programm – wenn ich da an Deutschland denke, wo ich auch mit Kinderwagen so oft die Tür vor der Nase zugeknallt bekommen habe, muss ich zugeben, dass die USA dagegen das Paradies sind. In Morristown haben mir sogar schon etwas skurrile Typen die Tür freundlich aufgehalten, von denen ich in Deutschland bestenfalls ein Grunzen in meine Richtung erwartet hätte – ich war echt überrascht!

 

Tanken, parken, einkaufen

… zuerst zur Tankstelle
Tanken funktioniert hier so: Scheibe runterkurbeln, auf die Tankhilfe (bisher bei mir nur Männer) warten, Kreditkarte/Bargeld/EC-Karte (debit card) rausreichen und sagen, was man will z. B. „Fill it up with regular, please.“ Hier in New Jersey ist es tatsächlich verboten, selbst zu tanken (genau wie in Oregon).
Sehr bequem, vor allem im Winter – da kann man schön mollig im Warmen sitzen bleiben und macht sich auch die Hände nicht schmutzig. Dafür gibt es wohl verschiedene Gründe, u. a. die Sicherung von Arbeitsplätzen (laut der Befürworter dieses Gesetzes).

 

… dann Parkplatz suchen
Generell braucht man sich wenig Sorgen ums Parken zu machen, denn die Parkbuchten sind alle komfortabel groß. Vor den Supermärkten – auch in Morristown – gibt es riesige Parkplätze. Aber Vorsicht: Trotz der breiten Fahrwege gibt es oft Einbahnstraßen-Systeme. Die Amis lieben eben Ordnung – das muss man als Deutsche nicht verstehen. In der Innenstadt gibt es oft noch die altmodischen „parking meters“, die man mit 25 Cent Stücken (quarters) füttern muss – finde ich richtig nett, wenn es auch nicht immer praktisch ist.

Beim kostenlosen, wenn auch zeitlich begrenzten Parken im Nachbarort in Madison braucht man übrigens keine Parkscheibe auszulegen. Die parking officer machen mit Kreide Zeichen an die Reifen und erkennen so beim Zurückkommen an ihrem Zeichen, wie lange man schon da steht – klingt verrückt, aber funktioniert: Ich habe jedenfalls auf diese Art und Weise schon ein Ticket bekommen (über 25 Dollar).

 

Als ich anfangs über die Parkplätze gegangen bin, war ich erstaunt: Überall parken Autos mit laufendem Motor. Das ist wirklich eine weit verbreitete Unart der Leute hier, die mich ziemlich auf die Palme bringt. Ob vor dem Einkaufszentrum oder beim Abholen der Kinder von Kindergarten und Schule: unzählige „idle cars“ – und das für viele Minuten und mit einer großen Selbstverständlichkeit, obwohl alles über drei Minuten verboten ist. Klar, dann kann man zu jeder Jahreszeit bequem bei angenehmen Temperaturen weiter telefonieren oder Radio hören oder warten oder auch seinen Mittagsschlaf machen (habe ich schon gesehen). Obwohl die Menschen hier doch sonst so „law-abiding“ im Alltagsleben sind, also alle Regeln und Gesetze streng befolgen, setzen sie sich in diesem Falle einfach darüber hinweg.

Ich mache da trotzdem nicht mit: Ich stelle artig meinen Motor aus, ziehe den Zündschlüssel ab (sicher ist sicher – ihr erinnert euch an die schwache Batterie vom Honda?) und warte geduldig und ohne Musik, Klimaanlage oder Uhrzeit im Auto.
Es wäre doch einmal interessant herauszubekommen, wie viel Benzin durch „idle cars“ in den USA jährlich völlig unnütz verbrannt und in die Luft gepustet wird …

 

… und dann endlich einkaufen
Hab ich mein Auto abgestellt, komme ich endlich zu meinen „Hausfrauen“-Erledigungen: Marcs Hemden zur Reinigung bringen (dry-cleaners), einkaufen (grocery shopping) oder auch einfach mal einen Kakao im Café trinken gehen. Um sich unauffällig „unters Volk zu mischen“ braucht man keine tiefgehenden Englisch-Kenntnisse. Hier reden die Leute ja sowieso viele verschiedene Sprachen und alle sind sehr geduldig, wenn man sich im Englischen probiert.
Es gibt allerdings einige Phrasen, ohne die hier nichts läuft und die man am besten im Schlaf kann. Uns kommen sie inzwischen schon recht routiniert über die Lippen.

 

Die „Schmieröl-Floskeln“ der täglichen Kommunikation
Warum auf die Frage „How are you?“ eigentlich nie etwas Negatives folgt und wie das gute Laune machen kann. Und warum „excuse me“ und „sorry“ etwas mit „vorher“ und „hinterher“ zu tun haben.
Mehr zu den “Schmieröl-Floskeln”.

 
12.00 Uhr preschool und 15.00 Uhr school – Kinder abholen: Ohne Unterschrift läuft hier gar nichts
In Deutschland laufen die Kids in der Regel aus der Schule alleine nach Hause. Anders in Morristown: Hier werden sie entweder in den Schulbus verfrachtet oder von ihren Eltern abgeholt (jedenfalls bis zum zwölften Lebensjahr). Beim Abholen um 15.15 Uhr („in line“ selbstverständlich) muss ich dann mit Datum und Uhrzeit unterschreiben, dass ich mein Kind in Empfang genommen habe – das kam mir am Anfang total komisch vor, ist aber mittlerweile Routine. Die ganze Sache hat wohl wieder etwas mit „liability“ zu tun, also mit der Haftbarkeit von Schule und Kindergarten, die sich absichern wollen.

So, das war einmal ein kleiner Einblick in unsere neue Alltagsroutine. Wer uns demnächst besuchen und dann hier einkaufen möchte, kennt jetzt jedenfalls die Tricks, wie man mit dem Strom schwimmen kann und nicht als „unhöflicher Deutscher“ auffällt. Am besten schon mal vor dem Spiegel üben 😉 . Zusammen mit einem Lächeln seid ihr bestens vorbereitet und euch kann hier nichts mehr passieren.