Vom Sprung ins kalte amerikanische Wasser

Warum Marc und ich uns jetzt langsam eine neue „Geheimsprache“ suchen müssen und wann Kartoffelpüree mit Fischstäbchen helfen kann. Warum Paul das potty-training nicht ernst nimmt und warum ich mich gerade wie eine Entenmutter fühle.

 
Nach unseren ersten drei Monaten bietet es sich an, einmal Bilanz zu ziehen, wo wir nach unserem „JUMP“ stehen – auch in Bezug auf die Auseinandersetzung mit der neuen Sprache. Und da ja bekanntlich jedes Kind anders ist, gibt es auch bei unseren eine ganze Bandbreite von Reaktionen:

Theo (7), der am meisten Angst vor dem Sprung hatte, ist sofort losgeschwommen und hat die Veränderungen sehr gelassen genommen.

 

Für Tim (6) war das Wasser ja zunächst sehr kalt, vom deutschen Kindergarten in den Sechs-Stunden-Alltag der Schule plus Hausaufgaben. Die ersten Wochen gab es viele Tränen, aber inzwischen hüpft er morgens gut gelaunt mit Theo in den Schulbus.

In Bezug auf ihren Spracherwerb gilt für die beiden, was uns seit Wochen alle erzählen: „Kids are like little sponges – they pick it up so quickly“. Theo benutzt Englisch ohne Scheu, und er kann sich schon bequem verständigen (u. a. mit Vergangenheit, Komparativ, Verneinung). Marc und ich waren vollkommen überrascht, als wir ihn mit Duaa, unserer Babysitterin, reden hörten – zuhause reden wir ja miteinander sonst nur Deutsch. Jedenfalls müssen Marc und ich uns jetzt eine neue „Geheimsprache“ suchen, wenn wir im Beisein der Kinder über Dinge reden, die nicht für ihre Ohren bestimmt sind. Tim ist noch zurückhaltender und er benutzt vor allem Phrasen, die er anscheinend wie „Wörter“ lernt (sprich [ˌhauˈɑːjə] = How are you?).
Auch in der Schule ist bei Theo und Tim alles im grünen Bereich, und ihre Lehrkräfte haben sich beim ersten Elternsprechtag sehr zufrieden geäußert. Beide genießen ihr Wochenende – dann haben sie endlich Zeit zum Spielen und bauen stundenlang mit Lego sehr kreative Erfindungen. Als „science project“ tüftelt Theo z. B. gerade an einer Morsemaschine aus Lego mit Fishertechnik-Motor. Tim spielt seit drei Wochen jeden Donnerstag Fußball mit seinem Freund Justus.

 

Ole (fast 5) dagegen hat seine Orientierung noch nicht wiedergefunden. Er brauchte schon immer Routine, damit er sich sicher und wohl fühlt. Selbst kleinere Veränderungen wie z. B. ein neuer Pullover, konnten ihn schnell aus der Fassung bringen. Das gilt jetzt noch mehr. Er sagt ganz oft, dass er zurück nach Deutschland möchte und begründet es damit, dass „ich sonst immer jammere, weil ich keine Geduld habe“ (O-Ton Ole). Er braucht mehr Zeit, um Zugang zum Englischen zu finden. Er zupft mich den ganzen Tag am Ärmel und fragt: „Was sagen die? Was hat die gesagt?“ Das tut mir schon leid. Er vermisst seinen deutschen Kindergarten, wo er sich frei bewegen konnte. Seine Versuche, sich mit Eimer und Schaufel am Baseball-Feld zu schaffen zu machen (der einzige Ort, wo man hier Sand finden kann) sind bisher auf wenig Gegenliebe gestoßen. Wir tun alles, um ihm zu Hause Stabilität zu geben – es gibt viele Kuschelduschen, fast jeden Tag Kartoffelpüree mit Fischstäbchen, und seit kurzem haben wir ein großes Trampolin und einen kleinen Sandkasten im Garten – beides große Renner und ein bisschen Heimat.

Paul (gerade 3 geworden) hingegen ist total „laid back“, wie man hier so schön sagt. Ihn lässt das alles kalt und er ist, wie er immer ist – verschmitzt und sehr positiv. Er nimmt, was kommt – egal ob Englisch oder Deutsch – und fragt bisher nie nach Übersetzungen wie die anderen Jungs. Er ist anpassungsfähig in der preschool und hat sich in den letzten Wochen dort zu einem richtigen Montessori-Kind gemausert, das seine „Arbeit“ auswählt, sie an den Tisch bringt, arbeitet und wieder ordentlich zurückstellt. Beim potty-training zeigt er (leider) genau die gleiche Gelassenheit (er macht einfach weiter in die Hose 🙂 ), aber wir freuen uns über jeden kleinen Fortschritt, und unsere mobile Toilette im Kofferraum motiviert ihn doch ziemlich („nein, nicht das Töpfchen, ich will auch die Flasche“). Sein Lieblingsspruch: „Criss cross – applesauce“ (auf Deutsch „Schneidersitz“) – so sitzen alle Kinder im Morgenkreis.

 

Entenmutter
Ich fühle mich im Moment wie eine Entenmutter, die ihre Küken in unbekannte Gewässer geführt hat und nun einige Mühen hat, sie da durchzuschleusen und aufzupassen, dass keiner abtaucht. Manchmal steht mir das Wasser auch bis zum Hals (manchmal sogar drüber) und abends klingeln mir die Ohren, wenn die vier ihrem vormittags unterdrückten Mitteilungsbedürfnis dann nachmittags auf Deutsch freien Lauf lassen. Ole und Pauls „Warum?-Phase“ verschärft die Sache noch.

Ich genieße die kleinen Freiräume, die sich so langsam durch preschool und Duaa ergeben und versuche dann auch ein bisschen am „Sprachbad“ teilzuhaben. Aber ich vermisse meine Arbeit als Lehrerin und meine Schulkinder. Und dann lebe ich im Moment als einzige in der Familie in einer überwiegend deutschen Sprachumgebung – schon ein bisschen ironisch als Englischlehrerin. Aber das wird sich bestimmt noch ändern – nur Geduld!